“Zwischen Verunsicherung und Wut”

Der oberste Schäfer im Land sieht Wolf als existenzbedrohende Herausforderung für Schafhalter.
SONNTAG Wie toll hätte diese Alpsaison für die Vorarlberger Schafzüchter sein können: saftige Weiden, ein tolles Nahrungsangebot, ideales Wetter. Wenn da nicht der Wolf sein Unwesen getrieben hätte. Ein Problem, das nicht so schnell verschwindet und Alois Rinderer (69) beim Interview mit den VN tiefe Sorgenfalten ins Gesicht treibt.
Ganz allgemein: Wie war die heurige Alpsaison für die Schafe in Vorarlberg?
Rinderer Es war ein sehr guter Sommer, in jeder Hinsicht. Das Wetter war ideal, das Futterangebot für die Tiere reichhaltig und von hervorragender Qualität. Zwei Mal hat es auf rund 2000 Meter geschneit. Aber das war für die Schafe überhaupt kein Problem. Der Schnee schmolz gleich wieder.
Warum ist das Sömmern auf der Alpe auch für die Schafe wichtig?
Rinderer Es ist wie beim Vieh. Wir brauchen das im Sommer gewonnene Heu für den Winter. Die Schafe finden ja auf den Alpen genug und sehr gutes Futter vor. Zudem können sich die Tiere dort frei bewegen. Das geht in diesem Ausmaß in den heimischen Ställen nicht.
Kommen wir zu dem alles beherrschenden Thema, dem Wolf. Wie bange war den Schafzüchtern deswegen schon vor der Alpsaison?
Rinderer Das Thema war natürlich schon vorher allgegenwärtig. Wir wussten ja, was alles in der benachbarten Schweiz und in den anderen Bundesländern passiert war. Wir wussten, dass wir nicht immer davonkommen können. Doch natürlich war die Hoffnung da, dass wir wieder verschont bleiben würden.
Doch das passierte nicht. Der Wolf schlug bei uns zu wie noch nie zuvor. Welche Stimmung nehmen Sie derzeit bei den heimischen Schaftierhaltern wahr?
Rinderer Sie liegt zwischen großer Verunsicherung und Wut. Da ist zum einen die große emotionale Betroffenheit vor allem bei jenen Schafzüchtern, die nur wenige Tiere auf der Alp hatten und deren Tiere ein Opfer des Wolfes wurden. Diese Schafzüchter haben eine enge Beziehung zu ihren Schafen. Wer zehn bis 20 Schafe hat, kennt eben jedes Einzelne. Es sind andererseits auch Fragen über Entschädigungen aufgetaucht. Da fehlen noch Nachweise über Wolfrisse, weil an den Kadavern auch Füchse als Nachnutzer dran waren und sich genetische Spuren des Wolfes schwerer belegen lassen. Obwohl Füchse bekanntlich ja keine Schafe reißen.
Wie viel an Entschädigung gibt es für gerissene Schafe?
Rinderer Für ein Nutzschaf gibt es 200 Euro Entschädigung. Für ein gerissenes Zuchtschaf zwischen 200 und 500 Euro.
Wie muss Ihrer Meinung nach mit dem Wolfsproblem umgegangen werden?
Rinderer Die angekündigte Verordnung zur Entnahme von Problemwölfen muss auch bei uns so schnell wie möglich kommen. Der Bescheid wurde ja wie erwartet sofort beeinsprucht. In einigen anderen Bundesländern gibt es bereits Verordnungen. Ich hoffe nur, dass die dann auch halten. Von der EU kommen jetzt auch ermutigende Zeichen in Richtung eines anderen Wolfsmanagements als bisher. Nachdem nun klar ist, dass der Wolf nicht mehr vom Aussterben bedroht ist. Ich bin zuversichtlich, dass eine Wolfsverordnung zustande kommt.
Wie viele Herdenschutzmaßnahmen gibt es in Vorarlberg bereits?
Rinderer Auf kleineren Alpflächen gib es einige. Aber auf großen Alpen ist das unmöglich. Auch das mit der Behirtung und den Herdenschutzhunden hört sich in der Theorie gut an, was praktisch unmöglich ist. Abgesehen davon wissen wir von der Schweiz, dass dort die Herdenschutzmaßnahmen zu 90 Prozent nicht mehr funktionieren. Weil der Wolf diese austrickst. Was soll das also, viel Geld auszugeben für etwas, was ohnehin nicht funktioniert?
Wie groß ist die Gefahr, dass Schafzüchter ihre Tiere aus wolfsgefährdeten Regionen abziehen?
Rinderer Diese Gefahr ist groß. Oswin Kieber aus Schruns etwa hat seine Tiere nach Wolfsrissen vom Gauertal bereits geholt und auf die Alpe Allmein bei Bartholomäberg gebracht. Das könnten andere Schafhalter auch tun. Die Folge davon wäre schlimm. Ganze Alpflächen, die nicht mehr bewirtschaftet werden und sich in Risikozonen verwandeln. Ich denke da zum Beispiel an steigende Lawinengefahr.
Wie sehen Sie die Zukunft der heimischen Schafhaltung?
Rinderer Ich kann nur hoffen, dass die Wolfsverordnung kommt, konsequent umgesetzt wird und wir das Problem damit halbwegs unter Kontrolle bekommen. VN-HK