Reinhold Bilgeri

Kommentar

Reinhold Bilgeri

Papa

Vorarlberg / 20.09.2023 • 10:45 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

„Unsere Begleiter, das Haupt der Partisanen und sein Adjutant, nehmen je zwei Pistolen, Horst einen Revolver, Toni und ich je eine Handgranate zur Hand und begeben uns auf die Straße, fest entschlossen, von der Waffe Gebrauch zu machen und unser Leben so teuer wie möglich zu verkaufen … Dass wir vors Kriegsgericht und kurzerhand auch an die Wand gestellt werden, ist uns klar.“

Diese Worte schrieb mein Vater, Rudolf Bilgeri, am 3. September 1944 in sein Kriegstagebuch, das dieser Tage, wissenschaftlich bearbeitet von den Historikern Peter Pirker und Ingrid Böhler, als Buch unter dem Titel „Bei den Partisanen in Athen“ veröffentlicht wurde. 31 Jahre nach Papas Tod. Er hatte sich damals der „verhassten Uniform“ der deutschen Wehrmacht entledigt und war zu den griechischen Partisanen übergelaufen, weil er für eine dreckige Ideologie weder kämpfen noch sterben wollte.

Mut

Frau Ammann meinte, man sollte auch die Motive der Deserteure und stillen Widerständler von damals würdigen, da sie zu einem wichtigen Kapitel der Aufarbeitung unserer Geschichte zählen. Das Buch ist auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung, das vom individuellen Umgang von Wehrmachtssoldaten mit den Knebeln einer Diktatur berichtet.

Dass wir vors Kriegsgericht und kurzerhand auch an die Wand gestellt werden, ist uns klar.


Das Widerstandsmahnmal und Deserteursdenkmal in Bregenz, als digitale Fallblattanzeige in einer Glasvitrine konzipiert, klappt Tag und Nacht die Namen der Frauen und Männer Vorarlbergs aus, die den Wahnsinn damals nicht mehr mitmachen wollten. Es waren Menschen, die auf ihre Art Widerstand geleistet haben, als viele eingeknickt sind.

Wer weiß, wie wir Nachgeborenen uns damals verhalten hätten, es steht uns sicher nicht zu, voreingenommene Urteile zu fällen, aber es stünde einer wachen Demokratie gut zu Gesicht, denjenigen Respekt zu erweisen, die den Mut hatten, nicht den Befehlen eines Diktators zu folgen, sondern ihrem Gewissen. Dennoch waren Deserteure lange Zeit als Verräter denunziert worden und ihre Nachkriegskarrieren mit Hürden verstellt. Erst im Jahr 2009 wurde das Rehabilitationsgesetz beschlossen und damit offiziell einer Wiedergutmachung Rechnung getragen. 64 Jahre nach Kriegsende!!

„großartig“

Wir sollten wachsam bleiben in Zeiten wie diesen, die eine Partei an der Spitze der Meinungsumfragen sehen, deren Jugendorganisation ein Video in Umlauf bringen darf, das sich rechtsextremer Codes bedient und auf den alten Ungeist verweist – da stehen junge hochgeschorene Fackelträger am Heldenplatz und nicken mit nostalgischem Blick hinüber zum „Führerbalkon“… sind wirklich 30% der Bevölkerung gewillt, einen zum Kanzler zu wählen, der ein derartiges Machwerk „großartig“ findet? Ich kanns nicht glauben. Man wird die Ahnung nicht los, die alten Geister hätten sich für die Ewigkeit eingenistet.

Das „Nie wieder“ habe ich jedenfalls von Papa gelernt, ich war stolz auf seinen Mut, seine hartnäckige Verachtung des Nationalsozialismus und werde sein Vermächtnis wahren, solange ich lebe.

Reinhold Bilgeri

reinhold.bilgeri@vn.at

Reinhold Bilgeri ist Musiker, Schriftsteller und Filmemacher, er lebt als freischaffender Künstler in Lochau.