Schweizer Fluchthelfer hinter Gittern

Als am Grenzübergang Gaißau ein St. Galler Landjäger verhaftet wurde
GAIßAU Im Rahmen der gemeinsamen Serie von VN-Heimat und Jüdischem Museum Hohenems wird diesmal ein Blick auf das Fluchthilfenetzwerk in der Schweiz vor 85 Jahren geworfen. In mehreren Geschichten aus dem Projekt www.ueber-die-grenze.at wird darauf Bezug genommen, eine davon ereignete sich im Dezember 1938 am Grenzübergang Gaißau. Daran beteiligt war auch Karl Zweifel, ein 1904 in Sargans geborener Schweizer Grenzpolizist, der im St. Galler Landjägerkorps (das 1954 in Kantonspolizei umbenannt wurde) diente und gemeinsam mit einem weiteren Fluchthelfer sowie zwei namentlich nicht bekannten Jüdinnen nach einer Grenzkontrolle ins Gefangenenhaus Bregenz überstellt wurde.

Karl Zweifel sowie der ebenso aus der Schweiz stammende Taxichaffeur Alfred Schachtler wurden an diesem Tag eigentlich von den Zürcher Sozialdemokraten Hans Mathys und Werner Stocker im Restaurant Mineralbad in St. Margrethen erwartet. Stocker hätte ihm zuvor „den Ersatz der Spesen“ für seine Hilfe zugesagt, wie Zweifel später zu Protokoll gab. Zu diesem Zwecke stellte er für die beiden Jüdinnen Grenzscheine auf falsche Namen aus und versteckte sie kurz vor dem Grenzübergang Gaißau hinter einem Gartenzaun. Doch das Unterfangen schlug fehl und endete zunächst mit der Inhaftierung in Bregenz.
Während das weitere Schicksal der beiden jüdischen Frauen im Dunkeln blieb, war der Arrest für Zweifel und Schachtler dank eines sozialdemokratischen Netzwerks, das seit Jahren besonders gefährdete politische Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich in die Schweiz schmuggelte, vorerst nur von kurzer Dauer.
Christian Dutler, ebenfalls ein St. Galler Landjäger, der schon seit April 1938 an diesem Fluchthilfenetzwerk beteiligt war, gelang es zwar, beide aus dem Gefängnis zu bringen, wobei für Schachtler eine Kaution von 500 Franken hinterlegt werden musste. Für das Netzwerk selbst verhieß dies jedoch nichts Gutes, denn Dutler und Zweifel wurden unmittelbar danach in der Schweiz erneut verhaftet. Es folgten Entlassungen und Hausdurchsuchungen.

Das Fluchthilfenetzwerk war aufgeflogen, wodurch sich der innenpolitische Druck auf den sozialdemokratischen Regierungsrat und Vorstand der St. Galler Polizei, Valentin Keel, verstärkte. Dem Wirken des früheren Kantons- und Nationalrats, der seit 1930 der Kantonsregierung in St. Gallen angehörte, stand der Chef der eidgenössischen Fremdenpolizei, Heinrich Rothmund, schon geraume Zeit misstrauisch gegenüber.

Keel duldete nämlich bereits seit einigen Monaten das Engagement des ihm unterstellten Polizeikommandanten Paul Grüninger, der Flüchtlinge, trotz der im Spätsommer verstärkten Grenzsperren, weiterhin großzügig ins St. Galler Rheintal einreisen ließ. Erst im Frühjahr 1939, als Keel um seine Wiederwahl bangen musste, distanzierte er sich von Grüninger, der daraufhin am 3. April suspendiert und schließlich unehrenhaft entlassen wurde. Paul Grüninger wurde der Prozess gemacht, der 1940 mit der Verurteilung zu einer Geldstrafe endete.
Späte Anerkennung
Der mittellose Familienvater erhielt zwar bald die Möglichkeit, für den Textilindustriellen Elias Sternbuch – dessen Schwägerin Recha Sternbuch sich auch in der Flüchtlingshilfe betätigte – als Regenmantelverkäufer in Basel zu arbeiten, was jedoch weder seiner Qualifizierung noch seinen Talenten entsprach. Zurück im Rheintal unterrichtete Grüninger nach dem Zweiten Weltkrieg aushilfsweise an der Primarschule in Au und erhielt erst 1971, als er von Yad Vashem in die „Liste der Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen wurde, eine Anerkennung für seine Fluchthilfe. Ein Jahr später verstarb er und es dauerte bis 1993, ehe seine Verurteilung posthum aufgehoben wurde. Weitere fünf Jahre später erhielt seine Familie auch eine finanzielle Entschädigung, mit der seine Tochter Ruth Roduner die „Paul Grüninger Stiftung“ gründete, die das Gedenken an den Fluchthelfer fördert sowie Engagements im Dienste der Menschenrechte unterstützt. RAE