Wie sich die Krisen auf die psychische Gesundheit von jungen Menschen auswirken

Vorarlberg / 28.09.2023 • 16:45 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Thomas Dietrich ist seit 2018 Leiter des Koordinationsbüros für offene Jugendarbeit und Entwicklung. <span class="copyright">VN/Steurer</span>
Thomas Dietrich ist seit 2018 Leiter des Koordinationsbüros für offene Jugendarbeit und Entwicklung. VN/Steurer

Koje-Leiter Thomas Dietrich über die Herausforderung in der Jugendarbeit und was Kinder und Jugendliche derzeit beschäftigt.

Schwarzach Die Tage der Offenen Jugendarbeit in Vorarlberg stehen in diesem Jahr unter dem Motto „Gesund trotz Krise?!”. Von 29. September bis 1. Oktober richtet die OJA den Fokus auf die dringende Notwendigkeit, die psychische Gesundheit junger Menschen zu stärken und Unterstützung anzubieten, um dem alarmierenden Anstieg von Gesundheitsproblemen bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken. Koje-Geschäftsführer Thomas Dietrich (34) spricht im VN-Interview über den Anstieg von psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen und die Präventionsarbeit, die in den Jugendeinrichtungen geleistet wird.

Coronapandemie, Teuerung, Krieg und Klimawandel. Wir schlittern von einer Krise in die nächste. Sind Kinder und Jugendliche jene, die am meisten unter diesen Krisen leiden?

Ich möchte keinen Wettbewerb daraus machen, ob Kinder, Jugendliche oder Pensionisten am meisten betroffen sind. Was wir jedoch merken ist, dass Jugendliche sehr stark davon betroffen sind. Wir sehen das in allen österreichischen und internationalen Studien. Es gibt sehr starke negative Entwicklungen im Hinblick auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen.

Immer beliebt: Die Graffitiworkshops in der OJA.
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Wie wirken sich diese Krisen auf das Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen aus?

Im Jugendalter geht es zum einen viel um Identitätsbildung, um den Aufbau des Selbstwertgefühls. Wenn da Ängste und Sorgen mitspielen, kann das einen großen Einfluss haben. Des Weiteren haben Jugendliche in der Pandemie viel Isolation erlebt und wenig Übungsraum für soziale Interaktionen bekommen. Wir spüren stark, dass es bei Jugendlichen aufgrund dieser Ohnmacht schneller zu Konflikten und zu Eskalationen kommt. Gleichzeitig kann auf der gesellschaftlichen Ebene die Orientierung fehlen. Die Erwachsenen sind sehr stark mit den Krisen beschäftigt. Man bekommt vielleicht nicht vorgelebt, wie man in Konflikten miteinander umgehen soll. Hat man bei unterschiedlichen Meinungen noch Wertschätzung füreinander? Wenn das wegfällt, fehlt den Jugendlichen die Vorbildfunktion, die die Erwachsenenwelt haben sollte.

Am Samstag können Mädchen* in der Amazone lernen, wie man Graffiti gestaltet.
Am Samstag können Mädchen* in der Amazone lernen, wie man Graffiti gestaltet.

Welche gesundheitlichen Folgen sind besonders erkennbar?

Es gibt vor allem eine Zunahme bei depressiven Verstimmungen. Eine Studie der Donau Universität Krems zeigt, dass über 60 Prozent der Schülerinnen zwischen 14 und 20 Jahren eine mittelgradige depressive Symptomatik aufweisen, bei Schülern sind es knapp 40 Prozent. Wir spüren einerseits, dass es eine Vereinsamung gibt, auf der anderen Seite aber auch die Gereiztheit steigt und betroffene Kinder und Jugendliche schneller die Impulskontrolle verlieren.

Daniel Ohr-Renn und Thomas Dietrich von der Koje waren zu Gast in der VN-Redaktion.
Daniel Ohr-Renn und Thomas Dietrich von der Koje waren zu Gast in der VN-Redaktion.

Wie haben sich diese Probleme auf die Jugendarbeit ausgewirkt?

In der Kinder- und Jugendarbeit geht es viel um Beziehungsarbeit. Junge Menschen teilen sich oftmals nicht gerne mit, wenn es Probleme gibt – man möchte ja nicht der Verlierer sein. Jene Jugendliche, die eine erwachsene Bezugsperson in der Jugendarbeit finden, beginnen sich zu öffnen. Es geht dabei viel um die Sinnfrage oder um Hoffnungen und die Lust, die die Jugendlichen verlieren. Wir wissen wir schon seit der Pandemie, dass diese Thematik verstärkt kommen wird. Wir sehen, dass es nicht allen gleich geht. Die Teuerung zum Beispiel trifft manche härter als andere. Familiäre Konflikte haben oft mit materiellen Sorgen zu tun. Das nimmt massiven Einfluss auf die Lebenswelt von Jugendlichen.

Dieses Jahr gibt es in Bregenz einen Cocktailworkshop für Jugendliche.
Dieses Jahr gibt es in Bregenz einen Cocktailworkshop für Jugendliche.

Wie kann man gegensteuern?

Es geht darum, Risikofaktoren zu minimieren. Wir sind als Jugendeinrichtung für die Präventionsarbeit zuständig. Wir setzen an der Grundstärkung der Jugendlichen an und bieten zum Beispiel individuelle Beratungsgespräche an, aber vor allem stellen wir Räume zur Verfügung, wo die Kinder und Jugendlichen einfach mal sein dürfen – ohne Erwartungshaltungen von der Gesellschaft oder den Eltern. Hier können sie sich befreit von Leistungsdruck und Sorgen bewegen. Jugendliche, die unsere Angebote und Aktionen nutzen, sind nicht zwangsweise von psychischen Probleme betroffen. Vielmehr geht es darum, dass sie keine psychischen Probleme bekommen werden. Wir versuchen Impulse zu setzen, wo sie Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein erfahren. Sie können etwa Reisen mitplanen, Konzerte organisieren oder beim Canyoning über ihre eigenen Grenzen gehen. In der Gruppe, wo unterschiedliche Ansichten und Interessen bestehen, kann so das soziale Miteinander gelernt werden.

„Wir hoffen, dass die Entscheidungsträger nicht auf die Kinder und Jugendlichen vergessen, weil sie zum Beispiel gerade über den Messepark entscheiden müssen.“

Thomas Dietrich

Wird in Vorarlberg genügend für die Kinder und Jugendlichen getan? Wo besteht noch Handlungsbedarf?

Wir sind grundsätzlich ganz gut aufgestellt. Die Digitalisierung darf nicht außer Acht gelassen werden, hier gibt es einen Bedarf, dass man diese in der Jugendarbeit noch weiter ausbaut. Gerade in der Präventionsarbeit in der Schule benötigen wir noch mehr digitale Kompetenzen. Prinzipiell entwickeln wir immer wieder neue, landesweite Angebote. Entscheidend ist es, dass es in den Gemeinden ein Bekenntnis gibt, dass man für Jugendliche Orte schafft und auf die Fachleute und Experten hört. Es gibt leider Gemeinden, in denen das Thema vernachlässigt wird. Für mich ist es das wichtigste Anliegen, dass wir diese Grundangebote für die Jugendlichen sichern. Wir hoffen, dass die Entscheidungsträger nicht auf die Kinder und Jugendlichen vergessen, weil sie zum Beispiel gerade über den Messepark entscheiden müssen. Es ist unser wichtigstes Gut, dass wir gesunde Kinder und Jugendliche haben. Sonst sind die Probleme von Morgen schon garantiert. Diese sind sicher nicht leichter als jene, die wir jetzt haben.

Tage der offenen Jugendarbeit

Von 29. September bis 1. Oktober

Die Tage der OJA 2023 sind eine Gelegenheit für Jung und Alt, die Offene Jugendarbeit und ihre Angebote kennenzulernen und sich mit dem Thema „Gesund trotz Krise?!“ auseinanderzusetzen. Jugendhäuser von Bludenz bis ins Leiblachtal öffnen ihre Türen für Jung und Alt. Im ganzen Land gibt es 65 Jugendhäuser und 180 Jugendarbeiter.

Programm: www.koje.at/post/tage-der-oja

Graffitiworkshops sind in der OJA immer sehr gefragt.
Graffitiworkshops sind in der OJA immer sehr gefragt.