Das war wohl im toten Winkel
Also, es war so. Der Hund und ich wollten ins Waldviertel, nach ein paar heißen Tagen in Wien. Dann dauerte ein Termin länger als gedacht, und eine Freundin wartete schon, und ich weiß auch nicht, jedenfalls ist beim Spurwechsel am Wiener Gürtel etwas passiert.
Jetzt kenne ich jemanden, den das überhaupt nicht überrascht. Meistens fahren wir, wenn meine Eltern mich in Wien besuchen, nach zwei Tagen in der hektischen Stadt hinaus aufs ruhige Land. Dafür muss man ein paar Kilometer am vierspurigen Gürtel fahren, und wenn man das nicht gewohnt ist … Kennt ihr das, wenn ihr ganz normal euer Auto fahrt, und neben euch sitzt jemand, der sich mit angstverzerrter Miene verkrampft an diesem Haltegriff rechts oben festhält? Das ist mein Vater. UMGOTTSWILLA PASSUUUUUF! Normalerweise spreche ich dann gelassen zwei Wahrheiten aus: Erstens, es schaut, wenn man es nicht gewohnt ist, vom Beifahrersitz alles viel gefährlicher und näher aus, Papa. Zweitens, ich kann das und habe in Wien noch nie auch nur den kleinsten Unfall gehabt.
Das Zweite stimmt nun leider nicht mehr. Als ich nämlich gekonnt auf die rechte Spur wechselte, machte es CHHHHHHHHHH. Verdammt. Ich fuhr rechts ran, das Auto, das ich gechhhhhht hatte, fuhr auch rechts ran. Was für ein Mist! Ich stieg aus, aus dem anderen Auto stieg ein junger Mann mit dichtem Bart und ausländischem Akzent, ich ging zu ihm hin und entschuldigte mich tief zerknirscht. Der junge Mann inspizierte schon den Schaden – nur weiße Schlieren von zerriebenem Lack zum Glück – und sagte dann: Ach, das kann passieren, Sie hatten mich wohl im toten Winkel, haben Sie einen Unfallbericht dabei? Ich hatte keine Ahnung, ob ich einen Unfallbericht dabeihabe, ich hatte ja noch nie einen gebraucht, aber siehe da, da war einer in dem Tascherl in der Ablage. Ich entschuldigte mich weiter und überlegte, wie extrem sauer ich gewesen wäre, wenn mir das passiert wäre auf dem Weg ins Wochenende. Aber der Herr blieb die ganze Zeit freundlich und gelassen, das könne schon mal passieren, wir füllten gemeinsam den Unfallbericht aus, riefen meine Versicherung an, dann gab er mir die Hand und wünschte mir ein schönes Wochenende.
Und das vergesse ich nicht. Als ich am nächsten Tag mit dem Hund in den Wald ging und nach einem Kilometer hinter uns plötzlich den ausgebüxten alten Nachbarhund entdeckte, dachte ich erst: verflucht!, und dann an den jungen Mann, der so freundlich zu mir gewesen war, obwohl ich sein Auto beschädigt hatte. Ich brachte den Nachbarhund zur Nachbarin zurück, die darüber sehr froh war, und spazierte dann mit meinem wieder in den Wald. Außerdem werde ich nicht mehr behaupten, dass die Vorarlberger nicht Auto fahren können, ich schwöre.
„Meistens fahren wir, wenn meine Eltern mich in Wien besuchen, nach zwei Tagen in der hektischen Stadt hinaus aufs ruhige Land.“
Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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