45 Jahre nach dem Nein zu AKW Zwentendorf: die bedeutsame Erinnerung an das unerwartete Aus

Vorarlberg / 03.11.2023 • 17:30 Uhr / 11 Minuten Lesezeit
45 Jahre nach dem Nein zu AKW Zwentendorf: die bedeutsame Erinnerung an das unerwartete Aus
Am 5. November 1978 erteilte Vorarlberg dem AKW Zwentendorf eine gehörige Abfuhr. VN/Stiplovsek, imagno/picturedesk.com

Ein Nein, das noch immer glücklich stimmt: Hildegard Breiner (87) und ihre Erinnerungen an die Zwentendorf-Volksabstimmung

Bregenz Am 5. November 1978 verhinderte eine Volksabstimmung, dass das bereits fertiggestellte Atomkraftwerk Zwentendorf ans Netz ging. Stattdessen wurde es ein Fall für die Geschichtsbücher. Hildegard Breiner, das Urgestein der Anti-Atom-Bewegung im Land, hält es für wichtig, an dieses Ereignis immer wieder zu erinnern.

Bundeskanzler Bruno Kreisky ließ die Österreicher erst nach dem Bau über das Kernkraftwerk Zwentendorf abstimmen.<span class="copyright"> APA/KLAMAR </span><p class="caption"><span class="marker"><strong><span class="copyright"></span></strong></span></p>
Bundeskanzler Bruno Kreisky ließ die Österreicher erst nach dem Bau über das Kernkraftwerk Zwentendorf abstimmen. APA/KLAMAR

Was macht dieses Nein zum Atomkraftwerk Zwentendorf 45 Jahre später mit Ihnen?

Breiner Ich bin nach wie vor voller Dankbarkeit, dass das alles damals überhaupt möglich war. Erstens, die Abstimmung, dass sich das Volk überhaupt äußern konnte, und zweitens, dass es so ausgegangen ist. Wir haben uns höchstens einen Anstandserfolg erwartet, an mehr war nicht zu denken, aber es ist geglückt.

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Knapp 30.000 Stimmen gaben letztlich den Ausschlag …

Breiner Ja, und Vorarlberg war das Zünglein an der Waage. Das ist berechnet und nachgeprüft.

Wie wichtig war was?

Breiner Sehr wichtig, aber gerechterweise muss ich sagen, dass auch die VN ihren Anteil hatten. Wenn die Vorarlberger Bevölkerung seit Rüthi nicht so wissend und kundig gemacht worden wäre, wäre das Ergebnis im Land nie so hoch ausgefallen.

Ausschlaggebend für das Ergebnis war die Vorarlberger Bevölkerung, die mit 80 Prozent gegen das Kraftwerk stimmte. <span class="copyright">JOE KLAMAR / AFP</span>
Ausschlaggebend für das Ergebnis war die Vorarlberger Bevölkerung, die mit 80 Prozent gegen das Kraftwerk stimmte. JOE KLAMAR / AFP

Warum ist es von Bedeutung, an diesen 5. November 1978 zu erinnern?

Breiner Anlässlich 40 Jahre Nein zu Zwentendorf haben wir eine sehr schöne Ausstellung konzipiert, mit der Prof. Willi Sieber und ich unter anderem auch an die Schulen und in Schulklassen gegangen sind. Da haben wir gemerkt, dass das Thema für die Oberstufenschüler vollkommen neu war. Die Jugendlichen haben einfach nichts davon gewusst. Deshalb ist die Erinnerung daran so bedeutsam.

Vor 40 Jahren, am 5. November 1978, entschied sich die Mehrheit der Österreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. <span class="copyright">APA/FOHRINGER</span>
Vor 40 Jahren, am 5. November 1978, entschied sich die Mehrheit der Österreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. APA/FOHRINGER

Sie sagen, die Initialzündung war Fußach, wo es 1964 anlässlich einer Schiffstaufe zu Ausschreitungen kam.

Breiner Es war nach dem Krieg überhaupt das erste Mal, dass man gemerkt hat, dass sich etwas erreichen lässt, wenn man etwas wagt. Das war ganz wichtig für später.

<p class="caption">Hildegard Breiner gilt als das Urgestein der Anti-Atom-Bewegung im Lan<span style="font-family: VNPolarisWeb, &quot;Arial Narrow&quot;, sans-serif; font-size: 0.875rem; color: initial;">d. <span class="copyright">VN/Stiplovsek</span></span></p>

Hildegard Breiner gilt als das Urgestein der Anti-Atom-Bewegung im Land. VN/Stiplovsek

Könnten Sie sich heute ein Österreich mit einem Atomkraftwerk vorstellen?

Breiner Sehr schwer, und ich bin glücklich, wie es jetzt ist. Inzwischen sind wir relativ, und ich betone relativ, weit mit den erneuerbaren Energien. Es geht aber immer noch zu langsam. Man müsste entschlossener dranbleiben.

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Wie schätzen Sie die Bedrohung durch die rundum noch bestehenden AKWs ein?

Breiner Wenigstens sind die deutschen Atomkraftwerke endlich abgeschaltet worden, aber viele andere rundum Österreich nicht. Das sind Zeitbomben. Ich will mir gar nicht vorstellen, was da noch alles passieren könnte.

Demonstration gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf am 12.6.1977 in Zwentendorf.<span class="copyright"> IMAGNO/PICTUREDESK.COM</span>
Demonstration gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf am 12.6.1977 in Zwentendorf. IMAGNO/PICTUREDESK.COM

Würden Sie wieder gegen die Atomkraft ins Feld ziehen?

Breiner Und ob. Jetzt bin ich mit den „Fridays“ unterwegs. Ich habe mitbekommen, wie dringend nötig die Jungen eine Unterstützung brauchen. Sie haben noch nicht gelernt, dass man ausdauernd, ausdauernd und ausdauernd sei muss. So lange ich kann, mache ich das.

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Hat sich in puncto Umweltschutz insgesamt etwas bewegt?

Breiner Das schon, aber es geschieht zu langsam und zu wenig. Da habe ich es mit den Jungen.

Es heißt oft, die Besetzung der Hainburger Au und die Volksabstimmung zum AKW Zwentendorf hätten den Weg zu mehr Umweltbewusstsein in der Gesellschaft geebnet. Sehen Sie das auch so?

Breiner Unbedingt. Es war sogar bei mir persönlich so, dass ich gemerkt habe, wie sehr alles mit allem zusammenhängt. Naturschutz, Klimaschutz … man kann aufzählen, was man will, es ist alles auch weltweit miteinander verbunden. Eigentlich müsste man den Jungen dankbar sein, dass sie das alles wieder zum Thema gemacht haben.

Das „Kontrollcenter“ im AKW Zwentendorf.<span class="copyright"> jOE KLAMAR / AFP</span>
Das „Kontrollcenter“ im AKW Zwentendorf. jOE KLAMAR / AFP

Was würden Sie jungen Leuten gerne ans Herz legen?

Breiner Das Wörtchen „trotzdem“. Man weiß von vorneherein nie, ob man Erfolg hat oder irgendetwas bewegt, trotzdem immer wieder neu anzufangen ist unendlich wichtig. Das möchte ich den jungen Menschen vermitteln. Nelson Mandela hat einmal gesagt: „Es scheint unmöglich, bis es getan ist.“ Das bewahrheitet sich immer wieder. 

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CHRONOLOGIE AKW ZWENTENDORF

1969: Am 11. November wurde der Bau des Kernkraftwerks Zwentendorf von der damaligen Bundesregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus (ÖVP) genehmigt. Geplant war ein Siedewasserreaktor mit einer Nettoleistung von 692 Megawatt. Kosten: 5,2 Milliarden Schilling (auf damals umgerechnet: 360 Millionen Euro). Errichtet und betrieben werden sollte das AKW von der Gemeinschaftskernkraftwerk Tullnerfeld GmbH, an der der Bund und die einzelnen Bundesländer durch ihre jeweiligen Energieversorgungsunternehmen beteiligt sein sollten. In Vorarlberg war das die VKW.

1971: Auf Drängen der Bundesländer wurde der Baubeschluss für das Kraftwerk von der Bundesregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) am 22. März gefällt.

1972: Baubeginn des AKW am 4. April.

1978: Nach der Errichtung des Kernkraftwerks lehnten 50,47 Prozent der bei der Volksabstimmung am 5. November Abstimmenden (Wahlbeteiligung von 64,1 Prozent) die Inbetriebnahme ab. Nach der Volksabstimmung kam es zu heftigen Diskussionen. Der damalige Kanzler Kreisky hatte angekündigt, im Falle eines Votums gegen das Kraftwerk zurückzutreten. Die damalige ÖVP unter Obmann Josef Taus sah damals eine Chance, Kreisky im Falle einer Niederlage zum Rücktritt zu bewegen, was allerdings trotz verlorener Abstimmung nicht eintrat.

1979: SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky erreichte bei der Nationalratswahl seinen größten Wahltriumph. In der Folge der Nichtinbetriebnahme des AKW Zwentendorf kam es zum Atomsperrgesetz, nach dem in Österreich auch in Zukunft keine Kernkraftwerke ohne Volksabstimmung gebaut werden dürfen.

1985: Bis März, als die „stille Liquidierung“ des Kernkraftwerks Zwentendorf beschlossen wurde, kostete das AKW-Projekt insgesamt 14 Milliarden Schilling (umgerechnet knapp eine Milliarde Euro), 600 Millionen Schilling davon waren allein für die Instandhaltung nötig gewesen.

1987: Das Kohlekraftwerk Dürnrohr wird in Betrieb genommen. Der Standort wurde so gewählt, dass die Stromleitungen des Kraftwerks Zwentendorf genutzt werden konnten.

2005: Die EVN AG kauft das Kraftwerk, und es wird ein Sicherheitstrainingszentrum eingerichtet.

2009: Auf dem Gelände wird eine Photovoltaikanlage errichtet und am 25. Juni in Betrieb genommen. Mit dem Vollausbau sollen die insgesamt 1000 an der Fassade und im Freigelände installierten Solarmodule durchschnittlich 180.000 kWh elektrische Energie pro Jahr liefern.

2010: Seit Juni dieses Jahres kann das AKW Zwentendorf besichtigt werden. Es ist Anziehungspunkt für bis zu 15.000 Besucher jährlich. In dem Gebäudekomplex finden neben Führungen vor allem auch Rückbautrainings für Experten statt.

Imposante Skulptur von Gottfried Bechtold in Zwentendorf

<strong><em> </em></strong>„Mitten durchs Herz“ heißt die Skulptur von Gottfried Bechtold. <span class="copyright">Markus Krottendorfer</span>
 „Mitten durchs Herz“ heißt die Skulptur von Gottfried Bechtold. Markus Krottendorfer

ZWENTENDORF In einer bemerkenswerten Verbindung von Industrieästhetik und christlicher Symbolik steht seit heuer die Skulptur „Mitten durchs Herz“ von Gottfried Bechtold als imposante Präsenz im Außenbereich des Kernkraftwerks Zwentendorf. Der Kunst-Rat der EVN hatte sich für dieses Werk des bedeutenden Vorarlberger Künstlers entschieden.

Das dreiteilige Werk, in den Jahren 2016 bis 2022 entstanden, verbindet auf kühne Weise Fortschritt, Moderne und das Motiv des Mitgefühls. Im Mittelpunkt steht dabei eine bewegende Referenz zur Pietà, einem Werk von Albert Bechtold (1885–1965), dem Großonkel des Künstlers. Dieser setzte mit seinen kubistisch-abstrahierten Skulpturen zwischen den Kriegen bedeutende nicht-konformistische Akzente in der österreichischen Kunst. Das Besondere an dieser Pietà ist, dass Maria und der vom Kreuz abgenommene Jesus stehend dargestellt werden, was in der Kunstgeschichte eine Seltenheit darstellt. Die Figuren sind stark reduziert und nehmen beinahe den Charakter eines Reliefs an. In ihrer Machart erinnern sie an Standbilder, wie sie auf Friedhöfen zu finden sind. Die Pietà ruht auf einem beeindruckenden Sockel aus sardischem Granit, der ein Gewicht von 13,2 Tonnen aufweist. Mit seiner groben Bearbeitung und den gut sichtbaren Bohrspuren könnte der Sockel an sich als eigenständige Steinskulptur bestehen.

Der Sockel aus sardischem Granit weist ein Gewicht von 13,2 Tonnen aus. <span class="copyright"> Markus Krottendorfer</span>
Der Sockel aus sardischem Granit weist ein Gewicht von 13,2 Tonnen aus.  Markus Krottendorfer

Neben dem Marmor und dem Granit ergänzt ein massiver Stahlträger, der die Herzen von Maria und Jesus durchbohrt, die ausgewählte Materialtrinität von Bechtold. Diese eisernen Elemente, die sich über eine Länge von 14 Metern erstrecken, tragen den Namen „Schiene Flatz“, benannt nach dem Bregenzer Statiker Markus Flatz, der die umfangreichen Berechnungen zur Belastbarkeit durchgeführt hat. Da die Skulptur ursprünglich für eine Ausstellung im Kunstraum Dornbirn geschaffen wurde, musste Flatz den Einfluss des Windes auf die Schiene und die Pietà neu berechnen. Die Kulisse des AKW Zwentendorf bietet einen idealen Ort für diese eindrucksvolle und visuell fesselnde Kombination, in der Technologie, Geschichte und das zutiefst Menschliche aufeinandertreffen. Hier wird die Pietà gegenüber der modernen Welt platziert, während Abstraktion, Konzeptkunst und Figuration miteinander verwoben sind. VN-AMA

Die Kulisse des AKW Zwentendorf bietet einen idealen Ort für diese eindrucksvolle und visuell fesselnde Kombination, in der Technologie, Geschichte und das zutiefst Menschliche aufeinandertreffen. <span class="copyright">Markus Krottendorfer</span>
Die Kulisse des AKW Zwentendorf bietet einen idealen Ort für diese eindrucksvolle und visuell fesselnde Kombination, in der Technologie, Geschichte und das zutiefst Menschliche aufeinandertreffen. Markus Krottendorfer