Wer Vorarlberg ohne Retourticket verlässt

Bei österreichischen Staatsangehörigen überwiegt Abwanderung: Uni-Städte ziehen Junge an.
SCHWARZACH. Als es bei Nina Mathies auf die Matura am BG Dornbirn und die Frage zuging, wie es weitergehen soll, erwog sie, im Land zu bleiben und die Fachhochschule zu besuchen. Schlussendlich entschied sich die heute 23-jährige Altacherin jedoch dafür, nach Wien zu übersiedeln und an der dortigen Universität für Bodenkultur Umweltwissenschaften zu studieren. „Ich wollte einmal in einer großen Stadt leben“, sagt sie. Im Übrigen habe sie neben dem Studium auch die politische Arbeit dorthin gezogen. Der Plan ist aufgegangen: Seit dem Sommer ist sie ÖH-Vorsitzende und damit Sprecherin aller Studierenden vom Boden- bis zum Neusiedlersee.

Eine Rückkehr nach Vorarlberg habe sie für die nächsten Jahre nicht geplant, erklärt Mathies im Gespräch mit den VN. Damit ist sie nicht allein. In Vorarlberg leben zwar immer mehr Menschen. Das Bevölkerungswachstum ist jedoch eher auf Zuwanderung ausländischer Staatsangehöriger zurückzuführen. Bei österreichischen Staatsangehörigen überwiegt Abwanderung. Im vergangenen Jahr verließen 3473 das Land, während nur 2752 zugezogen sind. Das war nicht ungewöhnlich, sondern normal: „In den letzten zehn Jahren sind durchschnittlich um die 700 Österreicherinnen und Österreicher mehr aus Vorarlberg ab- als zugewandert“, erklärt Egon Rücker, Chef der Landesstelle für Statistik: „Es sind überwiegend Jugendliche unter 30 Jahren, die meist einer Ausbildung außerhalb Vorarlbergs nachgehen.“ Und von denen dann eben einige auf Dauer wegbleiben.
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Gefragte Ziele sind Universitätsstädte wie Innsbruck. Markus Abwerzger (48) aus Dornbirn hat dort einst Jus studiert, Barbara Neßler aus Alberschwende Lehramt (32). Heute zählen beide zur Politprominenz Tirols: Er als freiheitlicher Landesobmann, sie als grüne Nationalratsabgeordnete.
Eine Art Klein-Vorarlberg in der Ferne
In Wien ist über die Jahre eine Art Klein-Vorarlberg entstanden. „Es schwirren Zahlen herum, wonach zwischen 20.000 und 30.000 Vorarlbergerinnen und Vorarlberger hier leben“, sagt Ulrike Willam-Kinz (62), Obfrau des Vereins der Vorarlberger:innen ebendort. Überprüfen lasse sich das nicht. Zumal sich viele Spuren im Laufe der Zeit verlieren. Am ehesten lasse sich noch die Zahl der Studierenden abschätzen. Sie belaufe sich auf circa 2500.

Willam-Kinz stammt aus Bregenz. Nach der Matura wechselte sie 1979 für eine Ausbildung an der Europa-Sekretärinnen-Akademie in die Bundeshauptstadt. Ihr Ehemann, ein Landsmann, studierte dort, beide sind geblieben. Sie selbst ist in der PR-Branche tätig. Das sei typisch, wie sie meint: „In vielen Jobbereichen bietet Wien mehr Möglichkeiten, da kann sich Vorarlberg noch so anstrengen.“ Kommunikation, Marketing, Wissenschaft, Kunst und Kultur beispielsweise.
Verein mit über 1000 Mitgliedern
Die Vorarlberger-Community in der Donaumetropole hat eine lange Geschichte. Einst hing sie laut Willam-Kinz unter anderem auch mit der Textilindustrie bzw. Unternehmen zusammen, die in Wien Niederlassungen unterhielten. Für die Mitarbeiter in der Ferne sei der Verein wichtig gewesen. Die Unternehmen hätten ihn daher immer wieder stark unterstützt. Heute gibt es nicht nur den 1885 gegründeten Verein mit über 1000 Mitgliedern, um Heimweh abzustreifen, sondern auch Dutzende Lokale und Geschäfte mit Spezialitäten aus Vorarlberg, vom Bier bis zum Bergkäse.