“Das Interesse der regierenden Politik ist leider äußerst gering”

Vorarlberg / HEUTE • 17:00 Uhr
"Das Interesse der regierenden Politik ist leider äußerst gering"
“Vorarlberg braucht endlich eine spezialisierte Anlaufstelle”, fordern Betroffene, Mediziner, Patientenanwalt und Oppositionsparteien.

ME/CFS-Betroffene kämpfen weiter um eine öffentliche Anlaufstelle. Ein Konzept liegt vor. Opposition reicht Antrag ein.

Bregenz David Burian war 27 Jahre alt, als er an Influenza erkrankte. Seither kämpft er mit schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen. „Vorher war ich ein sehr sportlicher Mensch. Das ist alles nicht mehr möglich“, erzählt er. Bis er wusste, woran er leidet, dauerte es ein knappes Jahr. „Bei mir hat die Diagnose Gott sei Dank nicht so lange gedauert. Ich habe mich so sehr hineingelesen, dass ich irgendwann selbst draufgekommen bin. Nach einem Jahr habe ich die Bestätigung von einem ME/CFS-Spezialisten bekommen. Aber davor habe ich auch alles falsch gemacht“, rekapituliert er. Heute ist David Burian 35 Jahre alt und engagiert sich mit anderen Betroffenen in der Selbsthilfegruppe ME/CFS Vorarlberg.

"Das Interesse der regierenden Politik ist leider äußerst gering"
David Burian leidet seit 2017 an ME/CFS. Derzeit bezieht er Rehageld.

“Die aktuelle Versorgung in Vorarlberg ist nicht einfach nur unzureichend, sie ist de facto nicht existent. Es existiert keine öffentliche Anlaufstelle, an der Betroffene nach aktuellem wissenschaftlichen Stand diagnostiziert und betreut werden. Stattdessen erhalten viele psychiatrische Fehldiagnosen, die oft zu erwiesenermaßen schädlichen Therapien führen”, unterstreicht David Burian. Das Interesse der regierenden Politik, die Situation grundlegend zu verbessern, sei bisher leider äußerst gering. “Abgesehen von einigen Lippenbekenntnissen erleben wir vor allem Verzögerungen und Vertröstungen”, berichtet der 35-Jährige.

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Beate Schuchter ist ebenfalls von ME/CFS betroffen.

In der Hoffnung, dass sich daran bald etwas ändert, hat die Selbsthilfegruppe ein Konzept für eine öffentliche Anlaufstelle erarbeitet, das am Dienstag präsentiert wurde. Die Oppositionsparteien SPÖ, Grüne und Neos reichten parallel dazu einen gemeinsamen Antrag im Landtag ein. “Wir verlangen nicht viel. Es kann ein Zimmer im Keller sein, in dem ein kompetenter Arzt sitzt. Es sollte einfach einmal ein Startschuss sein”, bekräftigt Burian.

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Mediziner Thomas Jungblut macht sich seit vielen Jahren für die Betroffenen stark.

Der Bregenzer Allgemeinmediziner Thomas Jungblut (66) verdeutlicht: “Bei ME/CFS handelt es sich um eine schwere Multisystemerkrankung, die in vielen Fällen zu erheblichen körperlichen Einschränkungen führt. Sie ist eine sehr große Belastung für die Betroffenen.” Ein Arzt müsse diese Patienten im wahrsten Sinne des Wortes “wahrnehmen” und diese Wahrnehmung sei oft nicht gegeben. “Das ist für die betroffenen Patienten demütigend, entmutigend und hat leider öfter schwerwiegende sozialrechtliche Konsequenzen”, betont Jungblut. Die konzipierte Anlaufstelle stelle nicht nur für die Betroffenen eine absolute Verbesserung dar, sondern auch für die Ärzteschaft.

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Patientenanwalt Alexander Wolf berichtet von traurigen Anfragen. Rechts neben ihm: Viktoria Berkmann von der Vorarlberger Plattform für Menschenrechte.

Der Vorarlberger Patientenanwalt Alexander Wolf schlägt in eine ähnliche Kerbe. “Wir reden nicht von einer Unterversorgung, wir reden von einer Nichtversorgung”, sagt er. Es gäbe auch immer wieder Anfragen von dieser Patientengruppe, ob der assistierte Suizid bei uns möglich ist. “Das kann nicht der Ausweg sein. Es gibt nichts Schlimmeres als die Unsicherheit für diese Patienten”, schildert Wolf.

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Manuel Auer (SPÖ) verweist auf einen aktuellen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien, das in einem von einer ME/CFS-Betroffenen gegen die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) geführten Verfahren wegen Entzugs des Rehagelds deutliche Kritik an den Sachverständigen geübt hat.

ME/CFS (kurz für “Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom”), das durch virale Erkrankungen wie das Epstein-Barr-Virus, Influenza oder COVID-19 ausgelöst werden kann, ist weit mehr als eine bloße Erschöpfung. 60 Prozent der Patienten sind arbeitsunfähig, 25 Prozent sogar an ihr Zuhause oder Bett gebunden. Schätzungen zufolge sind in Österreich rund 73.500 Personen und in Vorarlberg 3300 Personen von ME/CFS betroffen. “Es fühlt sich an wie eine Mischung aus Grippe und Kater. Ich habe immer Gliederschmerzen und einen schweren Puls. Das Grausame bei der Krankheit ist, dass sich die Symptome verzehnfachen, wenn man über seine individuelle Grenze geht – teilweise für Tage und Wochen oder für immer”, beschreibt David Burian seine Beschwerden.

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Eva Hammerer (Grüne) sagt: “Dafür, dass diese Menschen nicht die Hoffnung verlieren, sind vor allem auch wir in der Politik zuständig. Schwarz-Blau lässt die Menschen völlig allein.”

Für Viktoria Berkmann von der Vorarlberger Plattform für Menschenrechte ist die fehlende Anlaufstelle auch ein Menschenrechtsthema. „Jeder Mensch hat ein Recht auf Gesundheit, auf gute Versorgung und darauf, ernst genommen zu werden. Österreich und damit auch Vorarlberg sind verpflichtet, dass Gesundheitsdienstleistungen für alle zugänglich, akzeptabel, von guter Qualität und diskriminierungsfrei sind. Für ME/CFS-Betroffene ist das derzeit nicht der Fall”, hält sie fest.