„Titanische“ Träume

Wie man Wissenschaft mit Blödsinn mixt.
Schwarzach Neulich wurden im Fernsehen ganze eineinhalb Stunden dem Saturnmond Titan gewidmet. Das ist jener Himmelskörper, auf dem im Jahre 2004 die Sonde Huygens weich landete und ein paar Tage lang Bilder der Umgebung sendete. Aus fast zwei Milliarden Kilometer Entfernung, eine wissenschaftliche Großtat. Dies wurde in der Dokumentation auch gebührend gefeiert. Gegen Ende, als es um künftige Missionen und Ausblicke ging, erlagen die Gestalter einem merkwürdigen Technooptimismus, wie er zuletzt in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts im Schwange war. An diesem Punkt der Sendung begann die Fiktion die Wissenschaft zu überflügeln.
Titan, hieß es etwa, biete unermessliche Energiereserven – darunter sollte man wohl die Seen aus Kohlenwasserstoffen verstehen, die besonders an den Polen des Mondes zu finden sind. Schön, der ganze Mond trieft förmlich von Benzin, regnen tut es Flüssiggas, aber was hilft das, wenn es in der dichten Atmosphäre nicht das kleinste Fitzelchen Sauerstoff gibt? Unsere irdischen fossilen Brennstoffe befinden sich eben unter dicken Gesteinsschichten; wären sie an der Oberfläche, hätten wir nichts davon, weil beim ersten Blitzschlag alles bis zum letzten Rest verbrannt wäre.
Energie
Die Energiereserven des Titan sind eine Schimäre. Um auch nur den Sauerstoff zum Atmen zu erzeugen, muss man Energie mitbringen, mit der man etwa das vorhandene Wasser erst schmelzen (es ist zu granithartem Eis gefroren!) und dann in Wasserstoff und Sauerstoff spalten kann. Heizung braucht es auch, denn es herrschen minus 180 Grad, gute Isolierung des Habitats reicht nicht.
Dieses Habitat, wohl eine Art Iglu, wurde argumentiert, könnte man doch aus den „Tholinen“ herstellen, eine Art rotbrauner Überzug aus organischem Material, eine Art tiefgefrorene braune Schuhcreme, die in der Atmosphäre aus Methan, Stickstoff und Sonnenlicht entsteht, „smog“ in fester Form. Das seien, hieß es, „Polymere ähnlich wie Plastik“ – das Baumaterial liegt also überall auf dem Boden herum, auf, lasst uns Hütten bauen! Völliger Quatsch, kein Mensch weiß, was Tholine sind.
Nur, weil man einem Etwas einen Namen umgehängt hat, weiß man noch nichts darüber. Die in Laborversuchen erzeugten Ablagerungen sind „hochmolekular“ und von „komplizierter Zusammensetzung“. Der organische Chemiker nennt das prosaisch: Dreck. Unbrauchbar. Freilich: Mit genügend Zeit und Energie kann ich aus Asphalt Schokolode machen, das Zauberwort dabei heißt: Energie. Die muss ich mitbringen, nach Lage der Dinge stammt sie von einem richtig fetten Atomreaktor . . . und ja, hinfliegen müsste man auch noch zum Titan. Das hat bei der Sonde sieben Jahre gedauert. – Es wäre ja schön, wenn wir uns aus den hiesigen Klimakalamitäten auf eine „zweite Erde“ retten könnten. Der Titan wird das vermutlich nicht sein. Christian Mähr