Giftiges Grün
Von der Modefarbe zum Gift – eine Karriere.
Schwarzach Das menschliche Auge unterscheidet beim Grün mehr Nuancen als bei jeder anderen Farbe. Kein Wunder – das Grün der Pflanzen ist unsere natürliche Umgebung, Saatengrün bedeutet Leben. Umso erstaunlicher ist deshalb die Bezeichnung „Giftgrün“. Wie kommt das? Was ist am Grün giftig? Grüne Früchte sind im Allgemeinen unreif und führen zu Bauchweh, aber das ist auch nicht das Grün, das wir mit „giftgrün“ assoziieren. Beim Giftgrün denken wir an eine intensive, strahlende Farbe – wie sie in der Natur gar nicht vorkommt. Tatsächlich existiert so ein künstliches Grün seit über 200 Jahren. Hergestellt hat es als Erster der deutsche Apotheker Carl Wilhelm Scheele 1768. Die Farbe heißt seitdem „Scheeles Grün“, ein Kupferarsenitacetat, enthält also Kupfer, Arsen und Essigsäure. Kupfer und Essig sind unproblematisch, das Arsen leider nicht. Scheele hat seine Erfindung nicht ausgewertet, sondern die Herstellung veröffentlicht. Bald beginnt ein gewaltiges Experimentieren mit Kupfer und Arsen, um Scheeles Grün zu verbessern. Der Fabrikant Wilhelm Sattler aus Schweinfurt macht das geschäftliche Rennen und bringt „Schweinfurter Grün“ auf den Markt.
Am Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es beliebt bei Malern und Modeschöpfern, man verwendete es in Tapeten und Kleidern; Konditoren setzten es sogar als Lebensmittelfarbe ein, heute nicht vorstellbar. Hat denn keiner gewusst, dass Arsen giftig ist? Das war schon seit der Antike bekannt, aber das Arsen steckte ja gebunden in der Farbe – und wer, bitte, leckt schon die Tapete ab? Und die Farbe leuchtete so schön! Und sie bleichte nicht aus. Also alles im „grünen“ Bereich. Die Folgen waren verheerend. Es zeigten sich bei den Trägerinnen grüner Kleider die typischen Symptome einer schleichenden Arsenvergiftung. Erst Jahrzehnte später erscheint die erste Warnung vor dem arsenhaltigen Grün. Man dachte dabei an Farbstaub, der sich bei Tanzen von den Ballkleidern der Damen ablöst – und hat das sogar nachgewiesen. Beim Herumschleudern verliert der Stoff in einer Stunde Tanzvergnügen 3,5 Prozent an Gewicht; der feine Staub wird dann wohl eingeatmet. Und das Grün in den Tapeten? Die tanzen ja nicht – schon 1844 warnte aber der Arzt Carl v. Basedow vor Schweinfurter Grün in Anstrichfarben und Tapeten. Ein unauffälliger Pilz kann aus Leim oder Tapetenkleister mit der Farbe Trimethylarsin freisetzen. Neuere Untersuchungen weisen auf eine erstaunlich niedrige Giftigkeit dieser Verbindung hin – man vermutet die Wirkung der unheilvollen grünen Tapete im ebenfalls freigesetzten Arsenwasserstoff, der ist beim Einatmen achthundertmal giftiger. – Scheeles Grün ist seit 1890 als Anstrichfarbe verboten. Bis zu diesem Verbot hat es fast hundert Jahre gedauert.