Sicherheitskräfte im Iran nehmen Krankenhaus unter Beschuss
Im Iran haben Sicherheitskräfte im Einsatz gegen die anhaltenden Anti-Regierungsdemonstrationen laut Aktivisten ein Spital und ein Studentenwohnheim beschossen. Die Einsatzkräfte hätten in der Nacht auf Samstag in der kurdischen Stadt Sanandaj gegen dutzende Demonstranten “das Feuer eröffnet”, erklärte die Menschenrechtsgruppe Hengaw im Kurzbotschaftendienst Twitter. Die Revolutionsgarden verlangten unterdessen ein Ende der Proteste.
In der zweitgrößten iranischen Stadt Shiras skandierten indes zahlreiche Teilnehmer einer Trauerfeier für die Todesopfer eines von der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) reklamierten Attentats Parolen zur Unterstützung der Regierung.
Die Schüsse von Sicherheitskräften auf ein Studentenwohnheim in Sanandaj – der im Westen des Landes gelegenen Hauptstadt des iranischen Kurdistan – bezeugt ein von der Nachrichtenagentur AFP verifiziertes Video. Darauf sind Dutzende Polizisten zu sehen, die auf Motorrädern zum Einsatz fahren und dann nach oben auf die Unterkunft für Studenten der medizinischen Universität des iranischen Kurdistan schießen.
Vor dem Krankenhaus in Sanandaj, auf das die Sicherheitskräfte den Aktivisten zufolge schossen, hatten sich zuvor zahlreiche Demonstranten versammelt, um nach Angaben von Hengaw einen verletzten Demonstranten zu “schützen”, dem die Festnahme gedroht habe. Auf einem auf Twitter verbreiteten Foto ist der auf einer Trage liegende Mann zu sehen.
Der Iran wird seit Wochen von Protesten erschüttert, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam ausgelöst wurden. Die 22-Jährige war von Sittenwächtern festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch falsch getragen haben soll. Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sind nach Angaben von Menschenrechtsgruppen landesweit mindestens 250 Menschen ums Leben gekommen. Tausende wurden den Angaben zufolge festgenommen. Am Samstag gingen online verbreiteten Videos zufolge erneut zahlreiche Studenten auf die Straße, unter anderem in der Hauptstadt Teheran sowie in Kerman im Südosten des Landes und im nordwestlich gelegenen Kermansha.
Bei der Trauerfeier für die 15 Todesopfer des mutmaßlich vom IS verübten Anschlags auf eine schiitische Pilgerstätte in Shiras riefen die Teilnehmer indes Parolen gegen die “Randale” im Land. Zudem warfen sie den USA, Großbritannien und Israel vor, hinter den Unruhen zu stecken. Auf vom Staatsfernsehen übertragenen Bildern der Feier waren Sprechchöre zu hören wie “Tod Amerika, Israel und dem Vereinigten Königreich” und “Das revolutionäre Volk ist wachsam und hasst die Aufrührer!”
Der Kommandant der mächtigen Revolutionsgarden, Hossein Salami, richtete sich auf der Trauerfeier mit drastischen Worten an die Anti-Regierungs-Demonstranten in anderen Städten: “Geht nicht auf die Straße! Heute ist der letzte Tag der Randale.” Bisher haben sich die Revolutionsgarden nicht an der Niederschlagung der Proteste beteiligt.
Salami forderte ein Ende der seit mehr als 40 Tagen anhaltenden Straßenproteste. Wir sagen es unseren Jugendlichen noch einmal: Die Demonstranten sollten die Geduld des Systems nicht überstrapazieren”, warnte der General am Samstag nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA.
Niemand werde den Demonstranten erlauben, weiter Unsicherheit zu stiften und die Universitäten des Landes in ein “Schlachtfeld” zu verwandeln. Der General bezeichnete die Unruhen seit Mitte September in einer Rede als Verschwörung der USA, Großbritanniens, Israels und Saudi-Arabiens, weil diese Länder in den vergangenen Jahren durch den Iran politische Niederlagen erlitten hätten. Die Jugend solle sich davon nicht beeinflussen lassen. “Werdet nicht Schachfiguren der Feinde des Landes. Verkauft nicht eure Ehre an Amerika. Schlagt nicht den Sicherheitskräften ins Gesicht, die euch verteidigen”, sagte der Militärkommandant. Zugleich bot er den Demonstranten an: “Der Weg zurück ist für euch noch offen.”
Beobachter werteten die Rede als Mahnung, die Proteste umgehend zu beenden – obwohl eher unwahrscheinlich ist, dass dies Erfolg hat. Die autoritäre Führung in Teheran macht ausländische Mächte – allen voran die USA – für die Proteste verantwortlich. Sie hat seit mehr als einem Monat das Internet massiv eingeschränkt und soziale Netzwerke gesperrt, um Absprachen zwischen Demonstranten zu erschweren.
Trotz der Warnung kam es wieder zu regierungsfeindlichen Protesten. Die Menschenrechtsgruppe Hengaw berichtete, Sicherheitskräfte hätten das Feuer an einer Mädchenschule in der Stadt Sakes eröffnet. Nach Angaben der Gruppe haben Sicherheitskräfte auch auf Studenten an der Medizinischen Hochschule in Sanandatsch in der Provinz Kurdistan geschossen. Mehrere Studenten seien verletzt worden, einer sei tot, berichtete Hengaw. Reuters konnte die Berichte nicht überprüfen.
Auch am Vortag war es zu Protesten gekommen, bei denen der Tod des geistlichen Oberhauptes Ajatollah Ali Chamenei gefordert wurde. Die Revolutionsgarden unterstehen direkt Chamenei, der de facto auch Staatschef ist. Iran wird seit Wochen von Protesten erschüttert, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam ausgelöst wurden. Die 22-Jährige war von Sittenwächtern festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch falsch getragen haben soll. Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sind nach Angaben von Menschenrechtsgruppen landesweit mindestens 250 Menschen ums Leben gekommen. Tausende wurden den Angaben zufolge festgenommen.
Die iranische Tageszeitung “Shargh” hat unterdessen Spionagevorwürfe gegen ihre inhaftierte Reporterin Nilufar Hamedi vehement zurückgewiesen. Bei ihrer Berichterstattung zum Thema der in Polizeigewahrsam verstorbenen jungen iranischen Kurdin Mahsa Amini sei Hamedi lediglich ihrer journalistischen Tätigkeit nachgegangen, betonte Chefredakteur Mehdi Rahmanian am Samstag.
Ein Geheimdienstbericht vom Freitag hatte Hamedi und eine Kollegin unter anderem beschuldigt, von der amerikanischen “Staatsmafia” und der CIA ausgebildet worden zu sein und mit diesen zusammengearbeitet zu haben. Ihre Reportagen seien dann vom Ausland ausgenutzt worden, um die Unruhen im Iran zu entfachen, hieß es. Hamedi war die erste Journalistin gewesen, die den Fall Aminis im Iran publik machte. Sie wurde festgenommen und sitzt seit gut einem Monat im berüchtigten Ewin-Gefängnis in der Hauptstadt Teheran. Falls der Geheimdienst auf seinen Vorwürfen gegen Hamedi und ihre Kollegin Elahe Mohammadi bestehen sollte, könnten den Journalistinnen hohe Haftstrafen drohen.