„Helm ab zum Gefühl“

Welt / 10.08.2025 • 15:48 Uhr
Ifigenia-in-aulide_c_birgit-gufler-14.jpg
Die Geschichte von Ifigenia hat schon Euripides zu einer Tragödie veranlasst. Apostolo Zeno erstellte eine etwas veränderte Fassung. Birgit Gufler

Geglückte Wiedererweckung von Caldaras „Ifigenia in Aulide“ in Innsbruck.

Innsbruck „Helm ab zum Gebet“ heißt es beim Großen Zapfenstreich, wenn die Soldaten beten sollen.  Die männlichen Figuren in Antonio Caldaras Oper „Ifigenia in Aulide“, 1718 in Wien uraufgeführt und letzten Freitag nach 300 Jahren bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck der Versenkung entrissen, tragen in der Neuinszenierung archaische Helme, wir befinden uns im trojanischen Krieg. Und wie es so ist im Mythos, sind die Krieger auch liebende Männer: Wenn das menschliche Gefühl in ihnen durchbricht, nehmen sie beim Singen die Helme ab.

Ifigenia-in-aulide_c_birgit-gufler-13.jpg
Birgit Gufler

Die Geschichte von Ifigenia, die von ihrem Vater Agamennone geopfert wird, hat schon Euripides zu einer Tragödie veranlasst. Apostolo Zeno erstellte eine etwas veränderte Fassung: Es gibt eine Gegenspielerin, Elisena, die von Achille, dem Bräutigam Ifigenias, versklavte Fürstin von Lesbos, die diesen ebenfalls liebt und gegen ihre Nebenbuhlerin intrigiert. Ifigenias Mutter Clitennestra und Achille wollen die Opferung unbedingt verhindern, Ifigenia erklärt sich aber schließlich bereit zum Opfertod. Da stellt sich heraus, dass Elisena in Wirklichkeit ebenfalls Ifigenia heißt. Sie ersticht sich am Opferaltar, worauf die Göttin Artemis befriedigt ist. „Che caso strano“ („Was für ein seltsamer Fall“), heißt es bei der Aufdeckung dieser Verwicklungen, und an dieser Stelle ging Gelächter durchs Publikum.

Regie geführt hat das spanische Künstlerduo Anna Fernández und Santi Arnal (Companyia Per Poc), die die weiblichen Rollen durch den Einsatz von Puppen verdoppelten, um deren Unfreiheit zu symbolisieren. Beim Abschied Ifigenias von Clitennestra gelang eine berührende Szene, als sich die beiden Puppen und die beiden Frauen umarmten, ansonsten wirkte diese Idee etwas schwerfällig. Bühnenbild und Kostüme von Alexandra Semenova schufen einen phantasievollen Rahmen mit antiken, barocken und Renaissanceelementen. Durch ein großes Guckloch mit geschwungenem Umriss gewann die Bühne Tiefe: Im Vordergrund agierten die Figuren, dahinter sah man z. B. das Meer mit Schiffen oder eine Villa. Optisch sahen die Griechen wie ein modebewusstes Hirtenvolk aus, mit unterschiedlich verzierten Kurzmänteln in Zottelpelzoptik, kurzen Hosen und Sandalen – und den Helmen mit prachtvollen Federbüschen. Die Damen trugen auffallende Blockstreifen.

Szenisch auch durch einige Tanzeinlagen durchaus reizvoll, überzeugte diese Wiederentdeckung aber vor allem durch die Musik und deren Umsetzung durch den musikalischen Leiter der Festwochen, Ottavio Dantone, und die Accademia Bizantina sowie ein exzellentes Sängerensemble. Was da an schwungvoller und differenzierter Gestaltung aus dem Orchestergraben klang, verdient einen Lorbeerkranz. Die Sopranistin Marie Lys als Ifigenia gestaltete ihre Rolle berührend intensiv, der Tenor Martin Vanberg als Agamennone strahlte herrscherliche Souveränität und väterliche Verzweiflung aus, Shakèd Bar sang eine hochdramatische Clitennestra, Neima Fischer verlieh der Elisena eher mädchenhafte als rachsüchtige Züge, der Countertenor Filippo Mineccia als ihr Verehrer Teucro überzeugte stimmlich und darstellerisch ebenso wie der Tenor Laurence Kilsby als Ulisse und der Bariton Giacomo Nanni als Arcade. Den Vogel abgeschossen hat der Countertenor Carlo Vistoli als Achille, der in halsbrecherischen Bravourarien ebenso brillierte wie er in seinem Abschied von Ifigenia rührte. Die drei Stunden Dauer vergingen wie im Flug.

Ulrike Längle