Leserbrief: Die Büchse der Pandora

Zum VN-Leserbrief von Vikar Werner Ludescher, VN vom 9. September 2025:
Pandora, wie Eva, ein althergebrachtes, gepflegtes, feindliches Frauenbild, das nach langem Urmatriarchat konstruiert wurde, um das unverständliche Leid des Existierens zu begründen und zu erklären! Leid, Krankheiten etc. sind keineswegs Strafen, sondern Herausforderungen: Der Mensch soll leidlindernde Lösungen/Therapien suchen. In Anbetracht der immensen wissenschaftlichen Fortschritte darf man hoffen. Der Baum der Erkenntnis ist ein Geschenk des Lebensbaumes. Die mythische Schlange sah die Genies der späteren Generationen voraus, die von manchen etablierten Religionen dämonisiert wurden. »Ihr, Geschöpfe, werdet auch Schöpfer werden können, wie Götter, im Laufe eurer endlosen, schweißtreibenden Suche nach Wahrheit.« Das menschliche Leid wurde dadurch intensiviert, dass der Mensch als »Sünder von Geburt an« deklariert wurde. Sünder sind alle, aber im Sinne von »an Wissen-Mangelnden«. Die mythischen Ureltern wurden nicht aus ihrem Garten vertrieben: Sie machten sich auf den unendlichen Weg zur Wahrheit, die nicht hinter ihnen, sondern vor ihnen zu suchen ist. Der versiegelte Tonkrug der Pandora, die Prometheus’ Bruder ehelichte, war ein zweideutiges Hochzeitsgeschenk der erzürnten Götter: Er ist längst offen. Sollte man nicht die Hoffnung daraus befreien?
Marie-Thérèse Mercanton, Bludenz