Kommentar: Willam stand am Anfang

VN-Kommentar von Walter Fink.
Vor zwei Tagen, am Donnerstag, fand im Vatikan ein historisches Treffen statt: Papst Leo XIV., Oberhaupt der katholischen Kirche, traf sich zu gemeinsamem Gebet in der Sixtinischen Kapelle mit König Charles III., dem weltlichen Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Damit hat zum ersten Mal seit der Trennung der anglikanischen von der katholischen Kirche 1531 ein britischer König gemeinsam mit einem Papst gebetet. Der Grund für die damalige Trennung hatte keine religiösen oder theologischen Hintergründe, sondern schlicht das Problem des englischen Königs Heinrich VIII., der seine Ehe mit Katharina von Aragon annullieren lassen wollte. Als sich der damalige Papst Clemens VII. weigerte und Heinrich exkommunizierte, gründete der König ganz einfach seine eigene, die anglikanische Kirche und erklärte sich zum Oberhaupt. Das gilt bis heute.
Bei der Begegnung von Papst Leo und König Charles wurde auch bekannt, dass in wenigen Tagen, an Allerheiligen, Kardinal John Henry Newman (1801 – 1890) vom Papst zum Kirchenlehrer ernannt werden wird. Ein seltener Ehrentitel für einen Theologen, Newman wird erst der 38. Kirchenlehrer der katholischen Kirche sein. Logisch aber, warum das beim Treffen von Papst und König besonders hervorgehoben wurde: John Henry Newman war anglikanischer Priester, bevor er 1845 zum katholischen Glauben konvertierte und später nicht nur Kardinal, sondern zum zentralen Erneuerer des Katholizismus im 19. Jahrhundert wurde. 2010 wurde Newman von Papst Benedikt XVI. selig-, 2019 von Papst Franziskus heiliggesprochen.
Die Newman-Forschung ist noch nicht alt – und ganz am Anfang stand ein „einfacher“ Priester aus dem Bregenzerwald, Franz Michel Willam, geboren als Enkel des Dichters Franz Michael Felder in Schoppernau, Kaplan in Andelsbuch. Seit 1921 beschäftigte sich Willam intensiv mit Newman und mit den Schwierigkeiten, die sich in der wissenschaftlichen Aufarbeitung ergaben. Er selbst verweist in seinen „Newman-Studien“ darauf, dass es „nicht weniger als zwölf Newman-Interpretationen gab“. Beim ersten Newman-Kongress 1956 in Luxemburg löste Willam heftige Kontroversen aus, weil er behauptete und mit seinen Forschungen auch zu belegen versuchte, Newman sei Aristoteliker.
Damals war er fast allein mit dieser Meinung. Doch vier Jahre später, beim zweiten Newman-Kongress, konnte er sein im Verlag Herder erschienenes Buch „Aristotelische Erkenntnislehre bei Whately und Newman“ (Richard Whately war ein anglikanischer Theologe und Philosoph, Freund Newmans) vorlegen – und sich damit gegenüber den Angriffen vom ersten Kongress rehabilitieren. Willams Lehrmeinung war nun allgemein anerkannter Wissensstand – und er galt spätestens ab diesem Zeitpunkt als einer der führenden Forscher zum englischen Kardinal, der die Öffnung der katholischen Kirche gegenüber Forschung und Wissenschaft im 19. Jahrhundert wie kein anderer beförderte. So darf man mit Fug und Recht einen Bogen von Kaplan Franz Michel Willam aus Andelsbuch zum neuen Kirchenlehrer John Henry Newman schlagen.