Leserbrief: Naivität in der DNA?

Leserbriefe / 03.11.2025 • 14:45 Uhr
Leserbrief: Naivität in der DNA?

In seinem Kommentar vom 17.10. analysiert der frühere IV-Präsident Ohneberg die geopolitische und wirtschaftliche Schwäche der EU treffsicher, um dann als Ausweg unter anderem eine “strategische Verflechtung” mit “Russland als Ressourcenpartner” aufzuzeigen. Wie kann er das just in dieser brandgefährlichen Situation, da sich eben diese Strategie als schwerwiegende politische Abhängigkeit entpuppt, der wir mit großen Mühen zu entkommen trachten? Mir bestätigt das erneut die politische Blauäugigkeit führender Wirtschaftsvertreter, wie zuvor schon WKO-Präsident Leitl mit seiner devoten Putin-Verehrung – die ihm heute immerhin schwerste Gewissensbisse bereitet. Auch die von China gezielt aufgebaute wirtschaftliche Unterminierung kann uns noch teuer kommen. Die Theorie, dass wirtschaftlich jeder irgendwie vom anderen abhängig ist und daher friedliebend sein muss, trifft auf Menschen und Mächte mit historisch irrwitzig untermauerten Eroberungsplänen nicht zu. “Gefangen von der Erinnerung an die langjährige Stabilität, neigen Staaten dann dazu, ihre Sicherheit durch Nichtstun zu erreichen. … Der Eroberer soll durch Vernunft oder Zusammenarbeit gezähmt werden, kurz, durch eine Politik, die sich tödliche Bedrohung gar nicht vorstellen kann. … Die Staaten, die die Legitimität verkörpern, können nicht wissen, dass ihr Gegner der Vernunft nicht zugänglich ist.” Diese Naivität, wie sie Professor Henry Kissinger allgemeingeschichtlich erklärte, steckt möglicherweise in der DNA unserer friedliebenden Demokratien.

Gerald Grahammer,Lustenau