Teil griechischen Lebens

VN-Kommentar von Walter Fink.
So lange das Jahr währt, in dem wir an ihn denken sollten, muss ich an den 100. Geburtstag des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis erinnern. 1925 auf der Insel Chios geboren, starb er 2021 in Athen. Zwischen diesen fast 100 Jahren lag ein pralles Leben, nichts fehlte an Großem, unsagbar Schönem und ebenso Niederträchtigem sowie erlittener politischer Gewalt.
Niemand hat die griechische Seele mit seiner Musik so tief getroffen wie Mikis Theodorakis. Wohl auch, weil er sich nicht gescheut hatte, auf Elemente traditioneller Musik zurückzugreifen, sie mit neuen Einflüssen zu versehen, damit neue Klänge entstehen zu lassen. Dazu hat sicher auch beigetragen, dass er Gedichte von großen Dichtern vertont hat, etwa des Nobelpreisträgers von 1963, Giorgos Seferis. In einem Gedicht aus dem Jahre 1931 thematisiert er das Exil, die Sehnsucht nach dem Mittelmeer sowie die Meinungs- und Lebensfreiheit. 1960 wurde es von Mikis Theodorakis vertont. Nach dem Obristenputsch, bei dem 1967 die griechische Regierung gestürzt wurde und die griechische Militärjunta von 1967 bis 1974 an die Macht kam, wurde das Lied verboten. Es wurde zur Hymne des Widerstands gegen das Regime. Und Mikis Theodorakis zur Figur des Widerstandes, er wurde eingesperrt, in KZs gefoltert, schließlich auf internationalen Druck freigelassen und ging nach Paris ins Exil, aus dem er erst nach dem Ende der Diktatur zurückkam.
Theodorakis stand immer auf der linken Seite des politischen Spektrums, immer trat er als Gegner faschistischer Strukturen auf. So auch während der deutschen Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg, als er von den Nationalsozialisten verhaftet wurde, dann wieder im griechischen Bürgerkrieg, als er in den späten vierziger Jahren auf Kreta in Gefangenschaft geriet, wo im zweimal das Bein gebrochen wurde. Er kommt zu Therianos, dem Urvater der Sippe auf Kreta, der „biegt“ Mikis’ Knochen zurecht; es gelingt. Therianos überlässt ihn dann den Frauen, die ihn pflegen sollen, „bis er wieder tanzt“. Das ist auch der Titel eines der wunderbarsten Bücher, das ich jemals gelesen habe, die Geschichte der Genesung von Mikis Theodorakis auf Kreta.
Theodorakis wurde zum wichtigsten Komponisten Griechenlands, er vertonte auch das große Epos des Nobelpreisträgers von 1974, Odysseas Elytis, „To Axion Esti“ („Gepriesen sei“). Ich hatte vor vielen Jahren das Lebensglück, eine Aufführung unter Theodorakis im Herodes-Atticus-Theater in Athen zu erleben. Spätestens da erkannte ich, was Mikis Theodorakis für die Griechen bedeutete: Er stand für Widerstand ebenso wie für Kunst, für Versöhnung ebenso wie für Auseinandersetzung, er war zum Sinnbild für Freiheit geworden. Die Griechen liebten ihn. In seinem Leben ebenso wie in seiner Musik. Dass er ganz nebenbei musikalische Welterfolge wie „Alexis Sorbas“ nach der Romanvorlage von Nikos Kazantzakis lieferte, ebenso die Filmmusik zu „Z“ des Regisseurs Constantin Costa-Gavras, waren nur weitere Belege für seine umfassenden musikalischen Möglichkeiten. Er war ein Genie.