“Wir kratzen die Erdschicht auf” – Was Bodenproben über uns erzählen

Biologisch, emotional, persönlich: Was verbindet uns mit geografischen Orten? Eine Mikrobiologin und eine Künstlerin sind dieser Frage nachgegangen – in einer Zusammenarbeit, die das Unsichtbare sichtbar macht.
Feldkirch Wenn man die Räume im Palais Liechtenstein betritt, merkt man sofort: Hier geht es um mehr als Kunst. In drei Sälen liegen große, dunkle Erdhügel wie stille Inseln im Raum.

Von ihnen führen schmale Spuren zu Podesten, auf denen kleinere Haufen platziert sind – jeder beschriftet mit dem Namen eines Ortes: Feldkirch, Innsbruck, Tschagguns oder auch Japan. Orte, die mit Erinnerung aufgeladen sind.

“Schauen, was darunter liegt”
Mit “Erdungen” präsentieren die Künstlerin Judith Saupper und die Mikrobiologin Nadine Präg ein Projekt, das auf mehreren Ebenen verbindet: wissenschaftlich und künstlerisch, emotional und mikroskopisch. “Wir erden uns, wir kratzen die Erdschicht auf und schauen, was darunter liegt. Genau das haben die Künstlerin und die Wissenschaftlerin gemeinsam gemacht”, beschreibt Kuratorin Bianca Maria Rovetta den Hintergrund der Arbeiten. Die Idee, Wissenschaft und Kunst miteinander zu verbinden, stammte dabei von Kurator Arno Egger.

Orte mit Verbindung
Für das Projekt sammelten Judith Saupper und Nadine Präg Bodenproben von verschiedenen, persönlich bedeutsamen Orten und untersuchten anschließend das Mikrobiom jener Proben im Labor. Kindheitsorte wie etwa Altstätten und Tschagguns, der gemeinsame Geburtsort Feldkirch und auch die aktuellen Wohnorte der zwei Frauen, Innsbruck und Parisdorf, kamen dabei zum Zug. Aber auch Sehnsuchtsorte wie Island, Irland, Chile und Japan wurden thematisiert.

“Als bewusster Gegenpol zu diesen biografisch und emotional aufgeladenen Orten steht Las Vegas. Ein sogenannter ‚Un-Ort‘, wie es die beiden nennen”, lässt die Kuratorin wissen. Auch von dort wurde Erde entnommen und analysiert. Diese Ergebnisse sind dabei separat in der “KUNSTBOX” am Jahnplatz zu sehen.
Verbindungen im Mikrobiom
Gleichzeitig analysierte Nadine Präg auch ihr eigenes Hautmikrobiom sowie jenes von Judith Saupper. Die zentrale Frage lautete: Gibt es Überschneidungen? Also Bakteriengattungen, die sowohl im eigenen Körper als auch in der Erde dieser Orte vorkommen? Genau diese Verbindungen – wissenschaftlich messbar, aber auch symbolisch aufgeladen – bilden den Ausgangspunkt der Ausstellung.

Zwischen Mikroskop und Filzstift
Die Daten wurden in sogenannten mikrobiellen Porträts dargestellt: Fotografien kultivierter Bakterienstämme, ergänzt durch Diagramme. Diese wissenschaftlichen Materialien bildeten die Grundlage für Sauppers künstlerische Arbeiten. Sie entwickelte daraus quallenartige Filzstift-Zeichnungen. “Diese Gebilde sind keine reine Fiktion, sondern basieren auf Daten und Fakten”, betont Rovetta. “Judith hat für sich selbst, für Nadine und für gemeinsame Bakteriengattungen Icons geschaffen.”

Über ein Drittel
Diese Symbolsystematik macht sichtbar, was sich im Mikroskop zeigt: Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Erde. Die Proben aus Feldkirch ergaben dabei etwa 130 identische Bakteriengattungen im Haut- als auch Bodenmikrobiom – das entspricht über einem Drittel aller im Boden gefundenen Gattungen.

Leise, poetisch, persönlich
Trotz aller Fakten bleibt die Ausstellung leise und poetisch. “Sie ist sehr informativ, sehr vielschichtig. Aber es ist auch eine ruhige Ausstellung, die einen selbst erdet”, beschreibt Rovetta das Raumgefühl der Inszenierungen. “Man befasst sich beim Durchgehen mit dem Eigenen. Woher kommt man? Was macht einen aus?”
Eine Begegnung auf vielen Ebenen
Damit schlägt “Erdungen” auch die Brücke zum Jahresthema “Wo wir uns begegnen” des Palais Liechtenstein. “Wir begegnen nicht nur Kunst, nicht nur Wissenschaft, nicht nur anderen Personen in Dialogen, sondern wir begegnen hier, speziell auch in dieser Ausstellung, uns selbst – und dem ureigensten Menschsein”, gibt die Kuratorin abschließend zu verstehen.
Am Samstag, 12. Juli, um 14 Uhr bietet Bianca Maria Rovetta eine Kuratorenführung durch die Ausstellung an. Dabei gibt sie Einblicke in die Inhalte und Aussagen des Projekts. Der Eintritt ist frei.


