“Wir kratzen die Erdschicht auf” – Was Bodenproben über uns erzählen

Heimat / 11.07.2025 • 16:20 Uhr
"Wir kratzen die Erdschicht auf" – Was Bodenproben über uns erzählen
VN/Linher, Florian Raidt

Biologisch, emotional, persönlich: Was verbindet uns mit geografischen Orten? Eine Mikrobiologin und eine Künstlerin sind dieser Frage nachgegangen – in einer Zusammenarbeit, die das Unsichtbare sichtbar macht.

Feldkirch Wenn man die Räume im Palais Liechtenstein betritt, merkt man sofort: Hier geht es um mehr als Kunst. In drei Sälen liegen große, dunkle Erdhügel wie stille Inseln im Raum.

"Erdungen", Neue Kunstausstellung im Palais Liechtenstein
Die neue Ausstellung kann seit gestern im Palais Liechtenstein bestaunt werden.

Von ihnen führen schmale Spuren zu Podesten, auf denen kleinere Haufen platziert sind – jeder beschriftet mit dem Namen eines Ortes: Feldkirch, Innsbruck, Tschagguns oder auch Japan. Orte, die mit Erinnerung aufgeladen sind.

"Erdungen", Neue Kunstausstellung im Palais Liechtenstein
Auf jedem Podest liegt Erde aus einem bestimmten Ort.

“Schauen, was darunter liegt”

Mit “Erdungen” präsentieren die Künstlerin Judith Saupper und die Mikrobiologin Nadine Präg ein Projekt, das auf mehreren Ebenen verbindet: wissenschaftlich und künstlerisch, emotional und mikroskopisch. “Wir erden uns, wir kratzen die Erdschicht auf und schauen, was darunter liegt. Genau das haben die Künstlerin und die Wissenschaftlerin gemeinsam gemacht”, beschreibt Kuratorin Bianca Maria Rovetta den Hintergrund der Arbeiten. Die Idee, Wissenschaft und Kunst miteinander zu verbinden, stammte dabei von Kurator Arno Egger.

Judith Saupper und Nadine Präg
Judith Saupper und Nadine Präg machen mit ihrer Zusammenarbeit sichtbar, was sonst verborgen bleibt.

Orte mit Verbindung

Für das Projekt sammelten Judith Saupper und Nadine Präg Bodenproben von verschiedenen, persönlich bedeutsamen Orten und untersuchten anschließend das Mikrobiom jener Proben im Labor. Kindheitsorte wie etwa Altstätten und Tschagguns, der gemeinsame Geburtsort Feldkirch und auch die aktuellen Wohnorte der zwei Frauen, Innsbruck und Parisdorf, kamen dabei zum Zug. Aber auch Sehnsuchtsorte wie Island, Irland, Chile und Japan wurden thematisiert.

„Erdungen“, neue Kunstausstellung im Palais Liechtenstein, Kuratorin Bianca Maria Rovetta
Bianca Maria Rovetta ist eine der beiden Kuratoren der Ausstellung.

“Als bewusster Gegenpol zu diesen biografisch und emotional aufgeladenen Orten steht Las Vegas. Ein sogenannter ‚Un-Ort‘, wie es die beiden nennen”, lässt die Kuratorin wissen. Auch von dort wurde Erde entnommen und analysiert. Diese Ergebnisse sind dabei separat in der “KUNSTBOX” am Jahnplatz zu sehen.

Verbindungen im Mikrobiom

Gleichzeitig analysierte Nadine Präg auch ihr eigenes Hautmikrobiom sowie jenes von Judith Saupper. Die zentrale Frage lautete: Gibt es Überschneidungen? Also Bakteriengattungen, die sowohl im eigenen Körper als auch in der Erde dieser Orte vorkommen? Genau diese Verbindungen – wissenschaftlich messbar, aber auch symbolisch aufgeladen – bilden den Ausgangspunkt der Ausstellung.

„Erdungen“, neue Kunstausstellung im Palais Liechtenstein, Kuratorin Bianca Maria Rovetta
An der Wand findet sich eine Legende, die zeigt, welche Symbole welche Art von Bakteriengattungen darstellen.

Zwischen Mikroskop und Filzstift

Die Daten wurden in sogenannten mikrobiellen Porträts dargestellt: Fotografien kultivierter Bakterienstämme, ergänzt durch Diagramme. Diese wissenschaftlichen Materialien bildeten die Grundlage für Sauppers künstlerische Arbeiten. Sie entwickelte daraus quallenartige Filzstift-Zeichnungen. “Diese Gebilde sind keine reine Fiktion, sondern basieren auf Daten und Fakten”, betont Rovetta. “Judith hat für sich selbst, für Nadine und für gemeinsame Bakteriengattungen Icons geschaffen.”

„Erdungen“, neue Kunstausstellung im Palais Liechtenstein, Kuratorin Bianca Maria Rovetta
Das Projekt will ein Bewusstsein dafür schaffen, wie sehr Mensch und Erde auf molekularer Ebene miteinander verbunden sind.

Über ein Drittel

Diese Symbolsystematik macht sichtbar, was sich im Mikroskop zeigt: Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Erde. Die Proben aus Feldkirch ergaben dabei etwa 130 identische Bakteriengattungen im Haut- als auch Bodenmikrobiom – das entspricht über einem Drittel aller im Boden gefundenen Gattungen.

"Erdungen", Neue Kunstausstellung im Palais Liechtenstein
Die Erdhaufen fügen sich nahtlos in die Architektur der Räume ein und schaffen so eine beruhigende, aber dennoch bewegende Atmosphäre.

Leise, poetisch, persönlich

Trotz aller Fakten bleibt die Ausstellung leise und poetisch. “Sie ist sehr informativ, sehr vielschichtig. Aber es ist auch eine ruhige Ausstellung, die einen selbst erdet”, beschreibt Rovetta das Raumgefühl der Inszenierungen. “Man befasst sich beim Durchgehen mit dem Eigenen. Woher kommt man? Was macht einen aus?”

Eine Begegnung auf vielen Ebenen

Damit schlägt “Erdungen” auch die Brücke zum Jahresthema “Wo wir uns begegnen” des Palais Liechtenstein. “Wir begegnen nicht nur Kunst, nicht nur Wissenschaft, nicht nur anderen Personen in Dialogen, sondern wir begegnen hier, speziell auch in dieser Ausstellung, uns selbst – und dem ureigensten Menschsein”, gibt die Kuratorin abschließend zu verstehen.

Am Samstag, 12. Juli, um 14 Uhr bietet Bianca Maria Rovetta eine Kuratorenführung durch die Ausstellung an. Dabei gibt sie Einblicke in die Inhalte und Aussagen des Projekts. Der Eintritt ist frei.

"Erdungen", Neue Kunstausstellung im Palais Liechtenstein
"Erdungen", Neue Kunstausstellung im Palais Liechtenstein
"Erdungen", Neue Kunstausstellung im Palais Liechtenstein