Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Kommentar: Machtmissbrauch ist keine „Beziehung“

Politik / 25.11.2025 • 07:24 Uhr

Konstantin Wecker war damals also „nicht Herr seiner Sinne“. Eine Spitzenentschuldigung. Der 78-jährige deutsche Musiker, Autor und Schauspieler sah sich vergangene Woche mit einer Recherche der „Süddeutschen Zeitung“ konfrontiert, die ein sehr unschönes Bild des selbsterklärten Freigeists und Feministen entwirft. Eine Frau erklärte in der „SZ“, sie habe den damals 63-jährigen Musiker 2011 als 15-Jährige nach einem seiner Konzerte kennengelernt und mit 16 Jahren eine sexuelle Beziehung mit ihm begonnen. Praktischerweise für Herrn Wecker ist einvernehmlicher Sex mit einem Mädchen ab 16 erlaubt.

Über seinen Anwalt ließ der Musiker verlauten, er sei eben „nicht Herr seiner Sinne” gewesen: „Es war eine Zeit, in der er sehr viel und über längere Phasen Alkohol konsumiert hat. Er war damals häufig nicht zurechnungsfähig.“ Der prominente Künstler bittet die Frau um Entschuldigung, spricht allerdings von einer „einvernehmlichen Beziehung“ und geht laut seinem Anwalt davon aus, „keinerlei strafbare Handlungen im Umgang mit der betroffenen Frau begangen zu haben.” Sie ringt bis heute mit den Geschehnissen und ist wegen einer Depression in Behandlung.

Das Machtgefälle

Bitte, das ist kein Fall für das Strafrecht, es ist doch nur eine unpassende Beziehung zwischen einem alten Mann und einer sehr jungen Frau: Die Reaktionen von Konstantin Wecker selbst und manch anderer zeigen, dass viele offensichtlich nicht verstehen, wo hier ein Grundproblem liegt. Menschen, zwischen denen ein klares Machtgefälle herrscht – ob durch Alter, sozialen Status, Geld – führen keine „Beziehung“, sondern einer von ihnen nutzt seine Macht aus, um zum Beispiel grausige Lolita-Phantasien auszuleben.

Machtmissbrauch passiert nicht, sondern ist ein bewusster Akt. Jugendliche, die etwa dabei sind, die Welt und die eigene Sexualität zu erkunden, können sich natürlich in einen Künstler, eine Lehrerin, einen Trainer verlieben und die begehrte Person umschwärmen; die Erwachsenen können sich allerdings einfach wie Erwachsene benehmen und die jungen Leute ihre Erfahrungen mit anderen in ihrem Alter machen lassen.

Dennoch ist es erfreulich, wenn nach Fällen wie jenem des wenig reflektierten Konstantin Wecker offen über Macht und Ohnmacht gesprochen wird. Nachdem nach wie vor mehr Männer als Frauen Machtpositionen innehaben, sollten wir Frauen möglichst viele männliche Verbündete suchen. Es wäre besonders wichtig, dass Männer im eigenen privaten und beruflichen Umfeld genau hinschauen und Bewusstsein schaffen, wo Machtmissbrauch beginnt. Und diesen zumindest richtig benennen und nicht verharmlosen.

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und ist Redaktionsleiterin von ORF.at.