„Dort ging es richtig kriegsmäßig zu“

Hildegard Breiner kämpft seit Jahrzehnten gegen Atomkraft und für Naturschutz.
BREGENZ. Seit mehr als 40 Jahren ist die Bregenzerin Hildegard Breiner Umweltaktivistin. Für ihr Engagement gegen die Atomkraft, für die Etablierung erneuerbarer Energien und für Natur- und Umweltschutz erhielt sie 2008 den Russ-Preis. Die 78-Jährige denkt nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen.
Sie haben sich in den 1970er-Jahren der Anti-Atom-Bewegung angeschlossen. Was hat Sie dazu bewogen?
Breiner: Die treibende Kraft war mein Mann. Er war Maschineningenieur und hat schon früh durchschaut, wie menschenverachtend die Atomtechnik ist. Richtig begonnen hat unser Engagement bei den Demonstrationen gegen die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf. Wir haben uns aber schon zuvor gegen Atomkraft eingesetzt, indem wir offen auf Leute zugegangen sind und uns der Diskussion stellten. Wir sind auch gegen Propagandafeldzüge aus Wien aufgetreten. Doch die Leute, die aus den großen EVU (Elektrizitätsversorgungsunternehmen, Anm. Red.) aus Wien gekommen sind, haben uns von oben herab behandelt. Ich koche jetzt noch, wenn ich daran denke.
Ein Beispiel?
Breiner: Ich habe mich einmal während einer Saaldiskussion zu Wort gemeldet. Mein Statement war sachlich fundiert und korrekt. Einer der EVU-Generaldirektoren antwortete darauf: „No, gnä’ Frau, woin’s denn ihre Wesch im Boch woschn?“ Der hat uns nicht ernst genommen. Ich habe gekocht.
Welcher Einsatz hat Sie besonders geprägt?
Breiner: Das waren die Protestaktionen gegen die WAA (Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe aus Kernreaktoren in Deutschland, Anm. Red.) Wackersdorf. Begonnen hat es zu Pfingsten 1985. Mein Mann sagte zu mir: Wir müssen nach Wackersdorf. Ich als brave Ehefrau dachte mir, ich muss wohl mit. Dort ging es richtig kriegsmäßig zu: Tränengas, Wasserwerfer, Hubschrauber, massiver Polizeieinsatz. Ich wollte danach nie wieder nach Wackersdorf. Mein Mann hingegen sagte, dort werden wir öfters hinfahren.
Wie kam es dann dazu, dass Sie mit Ihrem Mann 17 Mal in Wackersdorf demonstrierten?
Breiner: Bei einem Protesteinsatz hatte mein Mann ein Fahrrad dabei – wegen seiner Hüftprobleme. Ich war zu Fuß unterwegs und auf mich allein gestellt. Dann kamen die Polizisten – richtige Schlägertrupps waren das – in Keilformation auf uns zu. Ich ging ihnen sowas von aufrecht entgegen. Die Polizisten sind einfach an mir vorbei gegangen, als existierte ich nicht. Da fiel mir auf, dass ich mich verändert habe. Ich demonstrierte künftig nicht nur im deutschen Wackersdorf, sondern auch in anderen Ländern wie Tschechien, Ungarn und der Schweiz.
Die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf wurde 1978 durch eine knappe Mehrheit in einer Volksabstimmung verhindert. Dagegen ist Österreich umkreist von Atomkraftwerken in Deutschland, Tschechien, Ungarn, der Schweiz. Macht der Widerstand trotzdem Sinn?
Breiner: Ja, denn mittlerweile geht die Stoßrichtung Richtung EURATOM-Vertrag. In dem Moment, der Österreich den Mut fassen würde, aus dem EURATOM-Vertrag auszusteigen, wäre das ein signifikantes Signal an die anderen Staaten.
Die Entscheidung der EU-Kommission zur Subventionierung des britischen AKW Hinkley Point C heißt, dass Atomkraft in der EU gefördert wird. Wurde aus den Nuklearkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima nicht gelernt?
Breiner: Das ist eine grundlegende und bittere Frage. Im Moment der Katastrophe und höchstens zwei Jahre danach herrschte Betroffenheit. Wir dachten, man ist gescheiter geworden, es wird sich alles ändern. Aber Gier, Profitmaximierung, Verdrängung und Vergesslichkeit bedingen, dass dieses Betroffensein und Ändernwollen nicht anhalten.
Hat sich das Bewusstsein der Vorarlberger im Hinblick auf die Gefahren durch Atomkraft in den letzten Jahren verändert?
Breiner: Die Vorarlberger sind diesbezüglich ohnehin bewusster. Aber im Grunde ginge es darum, im Hinblick auf Anti-Atom, Energie, Wasser, Lebensmittel mit einem genügsameren Lebensstil Einfluss auszuüben. Im Übrigen hat sich aus unserem Einsatz in Wackersdorf das Engagement für die erneuerbaren Energien entwickelt.
Was kann der Einzelne dazu beitragen?
Breiner: Umsteigen auf Ökostrom. Das ist einfach. Und das kann sich jeder leisten.
Wie hat Ihr Einsatz für den Naturschutz begonnen, und wo stehen Sie heute?
Breiner: Mein Engagement für den Naturschutz hat sich aus dem Anti-Atom-Aktivismus heraus entwickelt. Durch großes Interesse und Learning by doing wurde der Naturschutz zu meiner Herzensangelegenheit. Als Obfrau vom Vorarlberger Naturschutzbund und Vizepräsidentin des Österreichischen Naturschutzbunds beschäftige ich mich mit vielfältigen Themen, darunter sind Artenvielfalt, Schutzgebiete, Renaturierungen – und auch das Bewusstmachen der Folgen des globalen Klimawandels. Mich freut es besonders, dass immer mehr private Initiativen zum Schutz der Umwelt entstehen. Bischof Erwin Kräutler hat vor Jahren einmal gesagt: „Wir müssen lernen, unsere Umwelt als Mitwelt wahrzunehmen.“ Das heißt, wir stehen nicht über der Welt um uns, sondern sind ein Teil von ihr.

Zur Person
Hildegard Breiner
ist Obfrau vom Vorarlberger Naturschutzbund und Vizepräsidentin vom Österreichischen Naturschutzbund.
Geboren: 28. März 1936
Laufbahn: Handelsschule, im elterlichen Betrieb „Zentralgarage Böhler“ mitgearbeitet, Prokuristin im Bäckereitechnik-Betrieb ihres Mannes.
Familie: war verheiratet mit Franz Viktor Breiner († 1998) 1 Sohn, 3 Enkelkinder
Auszeichnungen: Binding-Preis für Natur- und Umweltschutz (2000), Nuclear Free Future Lifetime Achievement Award (2004), Russ-Preis und -Ring (2008), usw.