„Logisch, dass Menschen Glyphosat im Körper haben“

Extra / 03.07.2016 • 18:32 Uhr
Dr. Angelika Hilbeck
Dr. Angelika Hilbeck

GVO und Pestizide haben negative Auswirkungen auf die Tier- und Umwelt.

zürich. Es besteht in der Gentechnik immer ein Risiko von unbekannten Effekten aus ungewollten Nebenfunktionen, da man Wechselwirkungen nicht kennt, sagt Dr. Hilbeck.

Seit über 20 Jahren werden GVO auch in der Landwirtschaft kommerziell genutzt. Wem schadet‘s, wem nützt‘s?

Hilbeck: Es profitieren nachgewiesenermaßen vor allem die Hersteller dieser Pflanzen und der dazugehörigen Pestizide, das heißt, die globalen Agrarchemie-Giganten der Branche. Dort, wo nun dieselben Herbizide zum Teil seit über 15 Jahren in immer wiederkehrenden, riesigen Mengen auf denselben Feldern ausgebracht werden und dieselben Pflanzen, die immer die gleichen Insektizide produzieren, angebaut werden, entwickeln sich nun, wie vorher gesagt, die Resistenzen sowohl in den Unkräutern als auch in den Schadinsekten rapide. Dies führt seit einigen Jahren dazu, dass der Herbizid- und auch Insektizideinsatz massiv zunehmen, woran wiederum dieselben Agrarchemiekonzerne nochmals verdienen. Die versprochenen Produkte und Lösungen der Weltprobleme, ob in der Medizin oder Landwirtschaft, sind ausgeblieben.

Geschadet hat die Einführung von GVOs in die Landwirtschaft der Umwelt und den Tieren. Neben den zu erwartenden Resistenzen ist die Eskalation der Industrialisierung der Landnutzung mit all ihren negativen Auswirkungen für die Umwelt eingetreten – insbesondere in Südamerika. Die Rückstandsproblematik ist konsequenterweise um die hohen Konzentrationen an Herbizidrückständen im GV Erntegut angereichert worden, zusätzlich zu den ohnehin schon vorhandenen Pestizidrückständen aus der Saatgutbeizung mit Neonikotinoiden und den sonstigen Pestiziden, die in der industriellen Produktion zwangsläufig eingesetzt werden müssen. Darum verwundert es niemanden, der die Sachlage nüchtern analyisiert, dass praktisch jeder Mensch in Industrieländern heutzutage messbare Mengen an Glyphosat im Körper und vermutlich auch an bakteriellen Insektengiften in sich trägt. Über die Auswirkungen auf den Menschen wird zur Zeit heftig gestritten – aufgrund widersprüchlicher Ergebnisse von Studien, Uneinigkeit über ihre Aussagekraft und darüber, was überhaupt ein Risiko ist. Die GVO-Entwickler mögen nämlich Pestizidbelastungen nur auf das Guthabenkonto der Gentechnik buchen, wenn es zu einer punktuellen oder vorübergehenden Abnahme führt, hingegen wenn die Pestizidbelastung zunimmt aufgrund von Resistenzen und Sekundärschädlingen, soll es nichts mit Gentechnik zu tun haben, dann ist der Pestizideinsatz lediglich ein agronomisches Problem.

Befürworter der Agro-Gentechnik sehen in neuen Pflanzenzüchtungsmethoden z. B. dem “Genome Editing” die Zukunft. Welche Risken gibt es hier?

Hilbeck: Das sind einfach neue Werkzeuge der Gentechnik, mit denen man direkt im Genom von Organismen ihre Erbanlagen verändern kann. Bei der ‚klassischen‘ Gentechnik werden Erbanlagen aus artfremden Organismen in das Genom eines neuen Empfängerorganismus ungezielt eingeschossen oder eingeschleust. Darum hatte man bei der ‚klassischen‘ Gentechnik keine Ahnung, wo im Genom die neuen Gene landen. Mit den neuen Werkzeugen kann man nun an bestimmten Orten im Genom kurze Gen-sequenzen stilllegen oder ausschneiden aus dem Genom. Man muss also nicht mehr unbedingt Fremd-Gene übertragen, wenn man will, kann man aber auch Gene übertragen. Man greift natürlich in das Genomgefüge ein und es besteht weiterhin das Risiko von unbekannten Effekten aus ungewollten Nebenfunktionen, weil wir die Funktionsweise und Wechselwirkungen der meisten Gene nicht genau kennen.

Warum macht es Sinn, dass sich – neben Politik und Behörden – vor allem die Zivilgesellschaft damit auseinandersetzt?

Hilbeck: Um naive Postulate von Präzision = Sicherheit zu demaskieren, die vorhandenen möglichen Risiken und Sicherheitsbedenken aufzuweisen und dem Anspruch der Gesellschaft auf Schutz vor möglichen gefährlichen Einwirkungen Nachdruck zu verleihen.