Sanktionen gegen Moskau “schleichendes Gift”

Extra / 10.11.2022 • 19:05 Uhr
Carola Schneider im Vorarlberg-LIVE-Interview mit VN-Redakteur Klaus Hämmerle. Am Montag will sie wieder in Moskau sein.
Carola Schneider im Vorarlberg-LIVE-Interview mit VN-Redakteur Klaus Hämmerle. Am Montag will sie wieder in Moskau sein.

Russland-Korrespondentin Carola Schneider über das Leben im Kriegsland.

Bregenz Als Carola Schneider 2011 den Job einer Russland-Korrespondentin für den ORF übernahm, hätte sie sich die jetzige Realität wohl niemals vorgestellt: nahezu tägliche Berichterstattung aus einem kriegsführenden Land, das einen Nachbarstaat brutal überfällt. Trotzdem macht die gebürtige Bludenzerin beim Wirtschaftsforum im Gespräch mit Kollegin Nadja Bernhard klar: „Ich gehe natürlich wieder nach Moskau zurück. Und das gerne.“ Im späteren Gespräch mit Vorarlberg LIVE erklärt sie VN-Redakteur Klaus Hämmerle auch warum: „Weil die Menschen in Moskau, auf die wir treffen, auch eine andere Welt und andere Haltungen erfahren sollen, als jene, die ihnen die Propaganda vorgibt.“

Ein heißer Tanz

Das Arbeiten in Moskau ist für die 50-Jährige zum Tanz auf einer Rasierklinge geworden. Was darf ich sagen, was nicht? Wie reagiert die Staatsmacht? Täglich muss sich Schneider Fragen wie diese stellen. Angst hat sie dennoch keine. „Man würde uns nicht einsperren, aber aus dem Land werfen“, glaubt sie. Dabei sei es wichtig, aus einem Land wie Russland zu berichten, statt nur von außen darüber.

Eine positive Perspektive auf den Konflikt führt Carola Schneider nicht in ihrem Repertoir. „Es müssen wohl beide Seiten so erschöpft und am Ende sein, dass man Verhandlungen führt.“

Die Sanktionen würde man im Moskauer Alltagsleben derzeit noch kaum merken. „Man muss sich halt damit abfinden, dass es bestimmte Dinge nicht mehr gibt. Kein McDonald’s oder Ikea mehr. Aber damit lässt es sich leben.“ Die Sanktionen seien ein schleichendes Gift, das sich erst langfristig wirklich bemerkbar machen werde.

Putins persönliche Mission

Und doch ist der Krieg den Russen näher gekommen. „Die Teilmobilmachung war diesbezüglich der Wendepunkt“, erklärt Schneider. Vorher sei der Krieg etwas für Armeeangehörige oder Freiwillige gewesen. „Aber durch die Teilmobilmachung ging er plötzlich direkt zu jenen, die nichts damit zu tun haben wollten. Mitten hinein in Familien, deren Söhne nun keine Möglichkeit mehr hatten, sich aus dem Ganzen herauszuhalten.“ Schneider erwähnt Proteste von Müttern, die aus Angst um ihre Söhne auf die Straßen gingen. Aber alles zusammen sei viel zu wenig, um Putins Macht einzudämmen. Und es deute derzeit nichts darauf hin, dass der russische Präsident den Krieg beende. „Es ist, als ob er den Krieg als eine persönliche Mission sieht.“

Menschen in dessen engsten Kreis, die mäßigend auf Putin einwirken, sieht die Moskau-Korrespondentin nicht. Viel eher sind es Scharfmacher, die auf ihn Einfluss zu nehmen versuchen und eine noch viel brutalere Kriegsführung forderten. „Aber keiner kritisiert Putin selbst, sondern nur die Armeeführung“, erzählt Schneider.

Verschleiert oder kleingeredet würden Niederlagen. So spiele etwa der drohende Zusammenbruch der russischen Armee bei Cherson in den Staatsmedien eine untergeordnete Rolle. „Es wird zwar darüber berichtet, aber nicht vorrangig. Und dann wird versucht, den Rückzug mit Argumenten wie Strategie oder Umgruppierung zu begründen. Vor der Zivilbevölkerung gehe für den Staatsführer derzeit keinerlei Gefahr aus.

Auch der umstrittene Patriarch Kyrill werde keine mäßigenden Einfluss auf Wladimir Putin nehmen. „Da gibt eher Putin den Takt vor als umgekehrt“, zeigt die ORF-Korrespondentin die Realität auf. Schon am Montag will Carola Schneider wieder in Moskau sein.

Zur Person

Carola Schneider

ist ORF-Korrespondentin in Russland

Geboren 27.April 1972 in Bludenz

Ausbildung Dolmetschstudium UNI Innsbruck für Französisch und Russisch

Laufbahn Landesstudio Vorarlberg, Korrespondentin in Frankreich, Schweiz, Moskau