Heraus aus der Stress-Spirale

Gesund / 13.12.2013 • 11:56 Uhr
Zehn Abende investierten die Rotkreuz-Mitarbeiter in das angebotene Mentaltraining.  Fotos: VN/Hartinger
Zehn Abende investierten die Rotkreuz-Mitarbeiter in das angebotene Mentaltraining. Fotos: VN/Hartinger

Erstmalig in Vorarlberg: Mentaltraining speziell für Blaulichtorganisationen.

Dornbirn. (VN-mm) Seit 26 Jahren arbeitet Robert Diem ehrenamtlich bei der Rotkreuzstelle Dornbirn, seit 20 Jahren ist er dort als Fahrer des Notarztwagens gefordert. Die Einsätze graben sich tief ins Gedächtnis. „Und ich bin einer, der nicht abschalten kann“, bekennt Diem. So schleppte er bislang viel an Erlebtem mit nach Hause. Den Einsatz aus dem Kopf zu bekommen fiel ihm schwer. Inzwischen hat Robert Diem das ein Stück weit gelernt, und zwar mithilfe eines speziell für Blaulichtorganisationen konzipierten Mentaltrainings, das den Schwerpunkt auf Stressregulation bei Einsatzfahrten legt.

Die Ruhe bewahren

Als erste Einrichtung im Land ließ sich die Rettungsabteilung Dornbirn auf diesen Versuch ein. „Wir möchten unsere Einsatzfahrer auch auf mentaler Ebene schulen, damit sie mit persönlichen Stressreaktionen vor, während und nach einer Ausrückung besser zurande kommen“, begründet Stellenleiter Hans-Peter Schwendinger. Wobei es vor allem darum geht, Ruhe zu bewahren, und das schon von der ersten Minute einer Alarmierung an. „Dann lassen sich Gefahrenmomente schneller erkennen und besser bewältigen“, so Schwendinger.

Eine Gruppe hat das Mentaltraining bereits absolviert. Die Rückmeldungen sind durchwegs positiv. Wie die Frauen und Männer das Gelernte im Ernstfall umsetzen, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Robert Diem indes hat privat schon einen Nutzen aus der Teilnahme gezogen. „Mir ist bewusst geworden, dass ich mehr auf mich achten muss. Denn Stress bringt Unsicherheit, und bei unserer Arbeit geht es um Menschenleben“, sagt er. Man müsse jedoch offen sein für solche Dinge. Letzteres soll eine zweite Gruppe im Frühjahr tun. Dann wird ein weiterer Kurs ausgeschrieben. Karl-Heinz Schwendinger wünscht sich, dass wenigstens 60 Prozent der 130 aktiven Helfer eine solche Schulung mitmachen.

Vertrauen entwickeln

Mentaltraining hat im Spitzensport schon seit Jahren einen festen Platz, ist jedoch in allen Lebenssituationen anwendbar. „Es unterstützt dabei, ein Vertrauen in seine Fähigkeiten zu entwickeln und Gedachtes zielorientiert einzusetzen“, erklärt Martin Konzett. Gemeinsam mit Philipp Nägele hat er das Konzept für Blaulichtorganisationen aufgesetzt. „Technisch sowie fachlich sind sie alle top“, so der Mentalcoach. Einsatzerfolg und Umgang mit dem Erlebten würden jedoch grundlegend von der mentalen Haltung abhängen. Konzett: „Diese Haltung ist entscheidend dafür, ob eine Einsatzanforderung als Herausforderung oder als Bedrohung betrachtet wird.“ Ist Letzteres der Fall, sind Einsatzkräfte oftmals nicht mehr in der Lage, ihre Kenntnisse optimal umzusetzen, weil Stressreaktionen die Anwendung der gelernten Fähigkeiten blockieren. „Selbst routinierte Helfer sind in der Stress-Spirale gefangen, wenn sie sich mit stressauslösenden Faktoren, wie etwa der Angst, Fehler zu machen, nie auseinandergesetzt haben“, sagt Martin Konzett. Was laut seinen Erfahrungen noch häufig zu wenig beachtet wird: „Nicht alle Szenarien können geprobt werden.“ Der enorme Aufwand von praktischen Trainings lasse sich aber durch gezieltes Mentaltraining reduzieren. Ein weiterer Vorteil: „Mentales Training ist viel flexibler und kann so oft wiederholt werden wie gewünscht.“ Zudem bewirke die erfolgreiche Absolvierung eines Einsatz-Szenariums im Kopf eine positive Gefühlsreaktion und folglich eine Stärkung des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten. „Dadurch kontrolliert die Einsatzkraft die Situation und nicht die Situation die Einsatzkraft.“

Das erfordert jedoch, achtsam gegenüber sich selbst zu sein und körperliche Reaktionen frühzeitig zu erkennen, um Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Das Mentaltraining als Ergänzung zur herkömmlichen Ausbildung bietet dafür praktische Werkzeuge, die sich einfach in den Alltag einbauen lassen, etwa Entspannungs- und Entschleunigungs- sowie Abgrenztechniken. „Abgrenzung ist in diesem Job auch Selbstschutz“, betont Philipp Nägele.

Psychische Gesundheit

Insgesamt geht es darum, neben der körperlichen die psychische Gesundheit von Menschen zu erhalten, die oft belastenden Situationen ausgesetzt sind. „Der Bedarf ist gegeben“, sind Martin Konzett und Philipp Nägele überzeugt. Sie sehen das Mentaltraining in der Zukunft sogar als Teil der Ausbildung bei Blaulichtorganisationen.

Das Mentaltraining besteht aus den verschiedensten Übungen, die sich auch leicht und immer wieder im Alltag umsetzen lassen.
Das Mentaltraining besteht aus den verschiedensten Übungen, die sich auch leicht und immer wieder im Alltag umsetzen lassen.

Weitere Infos und Kontakte unter www.mentalkraft.eu