Bessere Überlebenschancen für unterkühlte Unfallopfer

Forscher schaffen Grundlagen für neue Wiederbelebungsrichtlinien.
Innsbruck. Bei Unfallopfern mit Herzstillstand gilt allgemein die Regel, dass die begonnenen Wiederbelebungsmaßnahmen nicht unterbrochen werden dürfen, bis der Patient wieder Lebenszeichen aufweist oder der Tod festgestellt wird. Eine neue Studie zeigt, dass im spezifischen Fall von stark unterkühlten Unfallopfern (Körperkerntemperatur unter 28°C) die Herzdruckmassage für den Transport im Gebirge immer wieder kurz unterbrochen werden kann, ohne das Überleben zu gefährden. Die von Medizinern des Bozner Forschungszentrums EURAC und der Medizinischen Universität Innsbruck gemeinsam mit britischen und amerikanischen Fachkollegen durchgeführte Studie ist vor Kurzem im renommierten Fachmagazin „Resuscitation“ publiziert worden.
In ausgesetztem Gelände stehen Bergrettern bei der Behandlung von Patienten im Herz-Kreislauf-Stillstand oft vor dem Dilemma, dass eine lückenlose Wiederbelebung während des Transportes in ein Krankenhaus nicht möglich ist. In den Alpen gab es in den vergangenen Jahren einige Fälle von stark unterkühlten Unfallopfern mit Herzstillstand, die trotz mehrmals unterbrochener Herzdruckmassage ohne bleibende Schäden überlebt haben. Rettungsdienste drängen seit Längerem auf eine Klärung des Sachverhalts speziell für Unterkühlungsopfer im Herzstillstand, da die derzeitige Regelung ausnahmslos eine lückenlose Wiederbelebung vorschreibt.
In der aktuellen Untersuchung kommen die Forscher nun zu dem Ergebnis, dass bei der Wiederbelebung von stark unterkühlten Patienten durchaus kurze Pausen bei der Herzdruckmassage zugunsten des Transports gemacht werden können, ohne dass das Überleben dadurch in Gefahr gebracht wird oder mehr Hirnschäden auftreten. Kälte konserviert nämlich, und deshalb toleriert der Körper bei tiefen Körpertemperaturen einen Herzstillstand wesentlich länger als bei normaler Körpertemperatur.
Umfassende Fallanalysen
Das neue Konzept übernahmen die Forscher von der Herz- und Gefäßchirurgie. Dort werden Patienten in manchen Fällen absichtlich auf eine tiefe Körpertemperatur abgekühlt. Dann nämlich können die Chirurgen den Kreislauf für kurze Zeit unterbrechen, um die Eingriffe am Herzen oder an den großen herznahen Gefäßen durchführen zu können, ohne dass bleibende Hirnschäden befürchtet werden müssen. „Wir haben in unserer Studie zum einen umfassende Fallanalysen durchgeführt, zum anderen aber auch von der Herzchirurgie gelernt. Wir schlagen daher vor, dass Retter und Notärzte bei schwer unterkühlten Patienten die Herzdruckmassage zur Wiederbelebung für den Transport kurzzeitig unterbrechen“, erklären Peter Paal von der MedUni Innsbruck und Hermann Brugger vom EURAC-Institut für Alpine Notfallmedizin.
In der Praxis heißt das: „Wenn schwer unterkühlte Patienten (Körperkerntemperatur unter 28°C) mit Herzstillstand aus unwegsamem Gelände evakuiert werden müssen und eine kontinuierliche Wiederbelebung nicht möglich ist, kann man abwechselnd fünf Minuten reanimieren, fünf Minuten transportieren und dies solange im Wechsel, bis wieder eine kontinuierliche Herzdruckmassage möglich ist. Somit können Patienten aus entlegenen Gebieten unter Wiederbelebung zur Wiedererwärmung in ein Krankenhaus mit Herzlungenmaschine gebracht und müssen nicht aufgegeben werden“, führt die Forschergruppe aus.
Paradigmenwechsel
Die Ergebnisse der Studie schaffen die Grundlage für einen Paradigmenwechsel innerhalb der bislang gültigen Rettungsrichtlinien. Im Laufe dieses Jahres sollen die Erkenntnisse in die Richtlinien der Internationalen Kommission für Alpine Notfallmedizin und des Europäischen Rates für Wiederbelebung aufgenommen werden.