Zu früh gefreut
Unlängst machte ich die Bekanntschaft von zwei jungen Frauen. Mädchen fast noch, die viel zu früh aus dem Nest gefallen sind, weil ihre Vorstellungen vom Leben nicht mit jenen der Erwachsenen konform gingen. Sie waren 15, als ihnen die Türe gewiesen wurde. Nun bin ich der Meinung, dass es in erster Linie die Aufgabe der Eltern ist, für ein gutes Auskommen zwischen den Generationen zu sorgen. Sie haben die Erfahrung. Sie sollten wissen, wie es geht. Doch Familie ist kein Wunschkonzert, und vermutlich ist es zuweilen besser, die Reißleine zu ziehen. In der Hoffnung, dass wenigstens am anderen Ende helfende Hände sind.
Die Mädchen hatten Glück. Es gab da jemand, der sie führte und leitete, bis sie fest auf eigenen Beinen stehen konnten. Sie nutzten die Hängematte, ohne sich hängen zu lassen. Mittlerweile sind sie flügge geworden und stolz darauf. Doch zu früh gefreut. Denn sie neigen immer noch dazu, diesen Teil ihrer Biografie zu verstecken, irgendwo tief in sich zu bunkern. So eine Vergangenheit macht sich nämlich nicht gut bei einem Jobgespräch. Oder, wenn man eine Wohnung braucht. Da schon gar nicht. Klingt nach asozial, aufmüpfig, rebellisch, nach unbelehrbar. Ich dachte allerdings, diese Zeiten hätten wir hinter uns. Doch offenbar sind manche Vorurteile einfach nicht totzukriegen. Das ist bedauerlich, denn es diskreditiert gleichzeitig die Arbeit jener, die sich in sozialpädagogischen Einrichtungen um Jugendliche bemühen, deren eigenes soziales Netz fadenscheinig wurde. Darüber einmal nachzudenken wäre mit Sicherheit kein Schaden.
marlies.mohr@vn.at
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