Mit Diät gegen das Gewitter im Kopf

Bei einer Epilepsie entladen sich viele Neuronen gleichzeitig im Gehirn.
Dornbirn. Epileptische Anfälle können in jedem Lebensalter auftreten. Am häufigsten sind jedoch Kinder und Jugendliche bis zum 20. Lebensjahr betroffen. Dabei zählt die Unreife des Gehirns zu den Hauptursachen von Anfällen bei Kindern, und meistens muss die Erkrankung medikamentös behandelt werden. Was aber, wenn Medikamente nicht helfen? „Bei einer schwer zu behandelnden und therapieresistenten Epilepsie kann eine ketogene Diät eine effektive Therapieoption sein“, betont Edda Haberlandt. Die Leiterin der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde im Krankenhaus Dornbirn ist Neuropädiaterin und Präsidentin der österreichischen Gesellschaft für Epileptologie, sie hält auch zahlreiche Vorträge zu diesem Thema. Die ketogene Diät als Therapie erfordert allerdings eine enge Zusammenarbeit zwischen Eltern, Ärzten, Diätologen und Pflegepersonal, kann jedoch eine Chance für die zu behandelnden Kinder mit Epilepsie darstellen.
Individueller Plan
Bei zwei Dritteln der Betroffenen ist eine Therapie mit Medikamenten erfolgreich. Das bedeutet, sie können unter Medikation ein normales, sprich anfallfreies Leben führen. Für andere an Epilepsie Erkrankte kann die ketogene Diät eine Chance auf Anfallskontrolle sein. Es bedeutet: Weniger Kohlenhydrate, dafür mehr fettreiche Kost. Das führt unter anderem zur Ketonkörperproduktion, welche im Gehirn die Anfallsbereitschaft herabsetzten kann. Studien zeigen, dass mit der ketogenen Diät bei 16 Prozent der Betroffenen mit therapieresistenter Epilepsie eine Anfallsfreiheit erzielt werden konnte. Bei 32 Prozent kam es zu einer Reduktion um mehr als 90 Prozent und bei den restlichen 56 Prozent können die epileptischen Anfälle um mehr als die Hälfte reduziert werden. „Eine Fertig-Nahrung existiert nur für den Säuglingsbereich“, betont Primaria Edda Haberlandt, „die Ernährung muss von den Diätologen für jeden Patienten individuell zusammengestellt werden. Dabei wird mit Kenntnis der Erfordernisse an Kalorien, Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente das Verhältnis exakt berechnet. Das erfordert ein enges Zusammenspiel und eine genaue Schulung aller Beteiligten und insbesondere der Diätologie.“
Von der Theorie zur Praxis
Edda Haberlandt leitete vor ihrem Wechsel nach Dornbirn die Neuropädiatrie an der Uniklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Innsbruck. Der fachliche Austausch über die Landesgrenze hinaus ist ihr weiterhin wichtig. So wurde Diätologe Alexander Höller vom Kinderzentrum Tirol zur Fortbildung „Die ketogene Diät als Therapieform bei Epilepsie – eine diätische Herausforderung?“ eingeladen. Die verschiedenen Ernährungsformen wurden im interdisziplinären Team in Theorie und Praxis besprochen. „Für die optimale Betreuung und Behandlung der kleinen Patienten ist eine engagierte, enge Zusammenarbeit mit vielen unterschiedlichen Berufsgruppen notwendig. Dafür wurde mit der gemeinsamen Fortbildung ein erster Schritt getan“, erklärt Michaela Klammer, leitende Diätologin im Krankenhaus Dornbirn.
Keine Erinnerung daran
So dramatisch ein epileptischer Anfall auch aussehen mag, er geht fast immer recht rasch von alleine wieder vorbei. Dabei dauert ein kleinerer Anfall zwischen 40 Sekunden und einer Minute, ein großer kann bis zu zwei Minuten anhalten. Erinnerungen an den Anfall haben Betroffene nach einem großen Anfall keine. Das verwundert nicht. Epileptische Anfälle lassen sich als „Gewitter im Gehirn“ beschreiben. Hier arbeiten Millionen von Nervenzellen zusammen. Diese elektrisch geladenen Neuronen sind normalerweise aufeinander abgestimmt. Das bedeutet, sie entladen sich koordiniert, um Signale weiterzugeben. Besteht jedoch ein Ungleichgewicht zwischen dem erregenden Botenstoff Glutamat und dem wichtigsten hemmenden Nerven-Botenstoff Gamma-Aminobuttersäure (GABA), entsteht eine Art Ausnahmezustand.
Ganze Neuronengruppen entladen sich dann synchron. Die Folge dieser Eruption ist ein Anfall. Kinder haben noch die Chance, durch physiologische Veränderungen, die sich meist bis zur Pubertät ergeben, aus einer genetischen Epilepsie herauszuwachsen, andere müssen Medikamente jahre- oder sogar lebenslang einnehmen.