Sogar Heimweh kann krank machen
Das beste Schmerzmittel gegen diese Sehnsucht ist Zeit.
Krems Heimweh vergeht mit der Zeit: und das recht schnell. Dies zeigen die Ergebnisse einer weltweit einmaligen Langzeitstudie mit Auslandsstudierenden. Ein Hang zur Neurotik und das Bestreben, es allen recht machen zu wollen, gehören hingegen zu den Faktoren, die mit dem Entstehen von Heimweh assoziiert sind. Die Studie ergab aber auch, dass der Level an Heimweh unter den heutigen Auslandsstudierenden generell gering ist. Möglich wurde die Studie durch die Verwendung einer smarten App, die es Studierenden erlaubte, direkt während ihres Auslandsaufenthalts teilzunehmen.
Heimweh kann zu gesundheitlichen und kognitiven Beeinträchtigungen, Lernschwierigkeiten, Zurückgezogenheit und allgemeinen psychischen Problemen führen. Berücksichtigt man all diese möglichen Konsequenzen, wundert es, wie wenig das Phänomen bisher wissenschaftlich untersucht wurde, vor allem, wenn die zunehmende Mobilität und Entwurzelung der Menschen im 21. Jahrhundert berücksichtigt wird. Wissenschaftler der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems, der University of Cambridge und der Universität Konstanz haben sich der Thematik angenommen und eine weltweit einmalige Langzeitstudie zum Heimweh durchgeführt. Erstmals gelang ihnen, die Gefühlswelt Betroffener direkt während eines Auslandsaufenthalts zu erfassen. Das Tool dafür war eine eigens konzipierte Smartphone-App.
Erinnerung filtert
„Tatsächlich“, erläutert einer der Studienautoren, Prof. Stefan Stieger vom Department für Psychologie und Psychodynamik der KL Krems, „wurden die meisten bisherigen Studien zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als die Betroffenen bereits wieder heimgekehrt waren. Die Aussagen der Personen wurden dabei natürlich durch die Erinnerung ‚gefiltert‘ und beeinflusst. Genau diesen Einfluss haben wir durch die Entwicklung einer App erstmals eliminieren können.“ Eine Methode, die es auch erlaubte, die Entwicklung von Heimweh über einen Zeitraum von drei Monaten wissenschaftlich zu analysieren. Die Ergebnisse der in „Environment and Behavior“ veröffentlichten Studie überraschten zum Teil sogar die Studienautoren. So ergab die Auswertung, dass Heimweh am Beginn eines Auslandsaufenthalts am stärksten war; danach aber rasch abflaute.
Hang zur Neurotik
Einen kräftigen Effekt, der das Heimweh hingegen unterstütze, sah das Team in einem Hang zur Neurotik bei den Probanden. Personen, die zu emotionaler Instabilität neigen, empfanden Heimweh stärker als andere Betroffene, genauso wie Personen, die als besonders umgänglich erscheinen, da sie bemüht sind, es allen in ihrem Umfeld recht zu machen. „Das erscheint zunächst vielleicht widersinnig“, meint Stieger dazu. Doch dieser Zusammenhang lasse sich vielleicht damit erklären, dass solchermaßen veranlagte Menschen darunter leiden, dass sie den Wünschen und Bedürfnissen von Freunden und Familie zu Hause nicht mehr in ausreichendem Maße gerecht werden können.
Auch Faktoren, die zur Verringerung des Heimwehempfindens beitrugen, konnten gefunden werden. Diese waren insbesondere die Unterstützung beim Einleben durch die Gasthochschulen, vorherige Auslandsaufenthalte, die Bereitschaft, ins Ausland zu gehen und die Identifikation mit der Gastnation. Hier waren die Effekte auf Grund der allgemein geringen Intensität des Heimwehs eher schwach, bestätigten aber Ergebnisse aus anderen Studien. Deren Resultate basieren jedoch auf den erwähnten nachträglichen Befragungen. Die Bestätigung durch die aktuelle Studie sei eine wichtige Ergänzung. Gesamt nahmen knapp 150 Probanden im Alter von 18 bis 29 Jahren an der Studie teil.
„Die Aussagen der Personen wurden natürlich durch die Erinnerung beeinflusst.“