Hans Concin

Kommentar

Hans Concin

Beschleunigte ­Wissenschaft

Gesund / 29.01.2021 • 09:58 Uhr

In einer völlig neuen Krise hoffen alle, vor allem Politiker, auf rasche wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse als Grundlage für richtige Entscheidungen. Aber schnell funktioniert in der standardisierten und allgemein anerkannten Wissenschaft nichts!

Es ist ein langer Weg. Angefangen von der Forschungsfrage, dem Studiendesign über die Datensammlung bzw. das Experiment, die Evaluation der Ergebnisse, die Einreichung bei einem anerkannten wissenschaftlichen Journal, den oft sehr langwierigen Peer-Review-Prozess durch unabhängige Gutachter, bis hin zur endgültigen Publikation. Und besonders lang dauert es in der epidemiologischen Forschung, wo zeitliche Verläufe beobachtet werden müssen.

Erst wenn mehrere unabhängige Forschungsteams zu übereinstimmenden Ergebnissen gekommen sind und diese wie oben skizziert publiziert haben, kann man von gesicherten neuen Erkenntnissen ausgehen. Traditionell dauert das in der Medizin mindestens ein Jahr. Früher war sogar Voraussetzung, dass neue Forschungsergebnisse in einem Lehrbuch aufgenommen sein mussten, um anerkannt zu werden. Das hat immer mehrere Jahre in Anspruch genommen.

Um diese Langsamkeit zu entschärfen, wurden Preprint-Server (Vorabveröffentlichungen) eingerichtet. Diese verzichten auf den mühsamen Peer-Review-Prozess, bei dem die Gutachter praktisch immer etwas auszusetzen haben und dadurch das Erscheinen der Forschungsergebnisse stark verzögert wird. Wenn die wissenschaftliche Arbeit aus einem seriösen, international anerkannten Institut kommt und auch mit anderen Forschungsgruppen übereinstimmt, kann man ohne unabhängige Begutachtung davon ausgehen, dass die Kernergebnisse und Rückschlüsse stimmen. Unsere eigene große Erfahrung mit epidemiologischen Studien im aks bestätigt, dass die Grundaussage einer wissenschaftlichen Studie durch den Peer-Review-Prozess nie verändert wurde.

Von Anfang der COVID-Krise an hat für mich der Grundsatz gegolten: „Schnelligkeit vor Perfektion“. Zum Thema SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 sind bis Anfang Dezember 2020 mehr als 3000 Preprints erschienen. Diesen Schatz nicht zu nutzen, wenn es um die Reduzierung von COVID-Toten und Intensivpatienten geht, finde ich unärztlich. Es ist unsere vorrangige Aufgabe. Leben zu erhalten und vor schwerer Krankheit zu schützen. Die Ignoranz, mit der teilweise medizinischen Preprints begegnet wird, ist kalt, lieblos und bürokratisch.

Ein Paradebeispiel für das Ignorieren von Preprints ist die SARS-CoV2-Immunität. Für Immunität sind weder Virologen noch Epidemiologen, die sich regelmäßig dazu äußern, die Experten. Immer wieder wird vereinzelt spekuliert, dass eine durchgemachte COVID-19-Erkrankung und möglicherweise auch die Impfung nur einen relativ kurzen Schutz hinterlassen. Das macht vielen Menschen unnötige Angst. Seit Monaten wissen wir, dass das nicht so ist: Höchst qualifizierte immunologische Arbeitsgruppen aus den USA über Deutschland bis Australien haben längst nachgewiesen, dass unser Immunsystem nicht nur aus Antikörpern besteht, sondern wesentlich breiter und differenzierter wirksam ist und ein Elefantengedächtnis hat. Wenn bei inzwischen weltweit 100 Millionen Personen mit positivem PCR-Test vereinzelte Rückfälle auftreten, sollte das unser Vertrauen in das Immunsystem nicht erschüttern.

„Die Ignoranz, mit der teilweise medizinischen Preprints begegnet wird, ist kalt, lieblos und bürokratisch.“

Hans Concin

hans.concin@vn.at

Prim. a. D. Dr. Hans Concin, Vizepräsident aks Verein