Hans Concin

Kommentar

Hans Concin

Zu welchem Arzt

Gesund / 29.09.2023 • 11:08 Uhr

Wir haben in Österreich das Privileg, als Sozialversicherte von Vorarlberg bis Burgenland praktisch jede Kassenarztordination und jedes öffentliche Spital in Anspruch nehmen zu können. Die Frage ist: Macht das auch Sinn? Die Wissenschaft ist sich einig, dass in der Primärversorgung die effizienteste Medizin durch Allgemeinmediziner (Praktischer Arzt, Hausarzt, Familienarzt) gewährleistet wird. In Relation zum Aufwand ist der medizinische Nutzen der Allgemeinmedizin für Rat- und Hilfesuchende am größten. Hausärzte haben die Gesundheit ganzheitlich im Blick und können sehr gut beurteilen, ob eine vertiefte Diagnostik bei Fachärzten sinnvoll ist. Manche Fachärzte, besonders Kinderärzte, sind ähnliche Generalisten wie Hausärzte. Das heißt, ihre Medizin ist nicht nur organbezogen. Bei Internisten und Frauenärzten (Gynäkologe) bestehen große Unterschiede. Viele agieren wie ein Hausarzt und haben einen ganzheitlichen Anspruch, andere sind eher organ- und fachbezogen.

Beginnen wir bei der Vorsorgemedizin. Hier dürfte wohl allen klar sein, dass Vorsorgemedizin eine ganzheitliche medizinische Betrachtung erfordert. Es ist auch ein großer Vorteil wenn mich „mein Vorsorgearzt“ im Krankheitsfall schon kennt und wichtige Vor- und Vergleichsbefunde vorliegen hat, die eine optimierte Beratung und Behandlung ermöglichen.

Im Krankheitsfall gilt es für alle Ärzte, Gefahren sicher zu erkennen. Für den Allgemeinmediziner gilt zunächst „Häufiges ist häufig“, für den Facharzt ist eine Überlegung „ich sollte auch Seltenes schon beim ersten Besuch möglichst ausschließen“. Beides hat Vor- und Nachteile. Wichtig ist, dass bei einer ausbleibenden Besserung nicht der Arzt gewechselt wird.

Überdiagnosen und Übertherapien: Überdiagnosen sind richtige Diagnosen! Sie verursachen jedoch keine medizinischen Pro­bleme. Ein Beispiel ist der Prostatakrebs, der bei den Betroffenen selten Beschwerden macht und in den wenigsten Fällen zum Tode führt. Überdiagnosen werden wesentlich häufiger in der Facharztmedizin und seltener in der Allgemeinmedizin gestellt. In den letzten Jahren ist die Problematik der Überdiagnose und Übertherapie stärker in den wissenschaftlichen Fokus gerückt. Dabei hat sich gezeigt, dass medizinische Leitlinien, die von durchaus anerkannten Institutionen erstellt werden, „schuld“ an den vermehrten Überdiagnosen sein können.

In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass die Canadian Task Force on Preventive Health Care für die Erstellung von Leitlinien grundsätzlich Experten verbannt hat. Für alle medizinischen Empfehlungen besteht die Forderung der allgemeinen Gültigkeit unter Berücksichtigung der Gesamtgesundheit – und nicht nur eines spezifischen Problems. Diesem Trend Rechnung tragend werden in Kanada medizinische Leitlinien von medizinischen Generalisten und nicht von Spezialisten entwickelt.

Ein überlastetes Medizinsystem braucht in erster Linie sehr gute Hausärzte. Seit Jahren warten wir auf die Einführung des Facharztes für Allgemeinmedizin. In den Krankenhäusern lernen junge Ärzte vorrangig Spitalsmedizin und systemimmanent weniger „Praxismedizin“. Die schon bestehenden hervorragenden Lehrpraxen müssen noch vermehrt und attraktiver gestaltet werden.

„Ein überlastetes Medizinsystem braucht in erster Linie sehr gute Hausärzte, und die Lehrpraxen müssen attraktiver gestaltet werden.“

Hans Concin

hans.concin@vn.at

Prim. a. D. Dr. Hans Concin, Vizepräsident aks Verein