Ein medizinisches Puzzle

MedUni Innsbruck identifizierte Seltene Erkrankung und half junger Vorarlberger Patientin.
Innsbruck Physphomevalonatekinase Deficiency (PMKD): klingt ganz schön kompliziert, zumindest für Laien und ganz besonders, wenn es sich um ein Leiden handelt, das zu den Seltenen Krankheiten zählt. Medizinisch bedeutet es für Betroffene einen Durchbruch. Geschafft hat ihn die Medizinische Universität Innsbruck. In enger Zusammenarbeit am Campus sowie auf nationaler und internationaler Ebene ist es unter der Federführung von Jürgen Brunner (Univ. Klinik für Pädiatrie I) gelungen, eine neue Autoinflammationsstörung mit dem Namen PMKD zu identifizieren. Damit konnte einem fünfjährigen Mädchen aus Vorarlberg, das unter wiederkehrenden Fieber- und Entzündungsschüben litt, geholfen werden. Das „Journal of Allergy and Clinical Immunology“ veröffentlichte jetzt die Forschungsarbeit.
Untypische Symptome
Viel zu wenige Blutplättchen, rote und weiße Blutkörperchen, dazu wiederkehrende Fieberschübe, extrem hohe Entzündungswerte und Bläschen im Mund: Mit diesen Befunden überweisen Mediziner in Vorarlberg 2019 eine kleine Patientin an die Innsbrucker Universitätskliniken. Das Mädchen, damals ein gutes Jahr alt, wird an der kinderonkologischen Abteilung aufgenommen. Die üblichen Untersuchungen inklusive Knochenmarkspunktion ergeben nichts. Bei Fällen von Fieber unklarer Ursache wird die Kinderrheumatologie beigezogen. 2021 kommt das Mädchen erstmals zu Jürgen Brunner, dem leitenden Oberarzt. Aufgrund der zusätzlichen untypischen Symptome – beispielsweise der Bläschen im Mund – denkt er sofort an ein periodisches Fiebersyndrom. Diese so genannten erblichen Autoinflammationsstörungen gehören zu den Seltenen Krankheiten, jede für sich so rar, dass ihr Auftreten nicht einmal beziffert werden kann. „Das Interessante an manchen dieser Autoinflammationsstörungen ist, dass sie Stoffwechsel und Entzündung verbinden“, erklärt Brunner.
Der Verdacht, dass es sich um die bereits bekannte Erkrankung MKD (Mevalonatekinase Deficiency) handeln könnte, deren genetische Ursache auf dem MVK-Gen liegt, das am Stoffwechselweg von Cholesterin beteiligt ist, bestätigt sich nach einer molekulargenetischen Untersuchung des Blutes am Institut für Humangenetik der Medizinischen Universität Innsbruck nicht. Zusätzlich spricht dagegen, dass MKD vorwiegend bei Menschen von heller Hautfarbe auftritt, die Patientin aber aus der Türkei stammt. Jedoch: Die Richtung stimmt, denn im Urin des Kindes wird, wie bei MKD, eine erhöhte Konzentration von Mevalonsäure festgestellt.
Rätsel gelöst
Kaan Boztug vom St. Anna Kinderkrebsforschungsinstitut in Wien führt in der Folge eine Exomsequenzierung durch und findet einen Defekt im Gen des Folgeenzyms von Mevalonatkinase (MVK), der Phosphomevalonatkinase (PMVK). „Das passt wiederum zur vermehrten Ausscheidung von Mevalonsäure“, erläutert Brunner, wie sich nacheinander die Puzzleteile zusammenfügten. Eine zusätzliche Enzymanalyse von Hans R. Waterham mit Kollegen an der Universität Amsterdam ergibt, dass PMVK – im Gegensatz zu MVK – bei dem Mädchen überhaupt nicht gebildet wird. Die genetischen Analysen der gesunden Familienmitglieder ergeben, dass die genetische Veränderung bei beiden Elternteilen und den Geschwistern auf nur einem Chromosom vorhanden ist, bei der kleinen Patientin jedoch auf beiden Chromosomen vorliegt und somit die Symptome verursacht. Nach eineinhalb Jahren ist das Rätsel gelöst und eine neue seltene Autoinflammationsstörung identifiziert: Physphomevalonatekinase Deficiency (PMKD).
Wirksame Therapie
Besonders erfreulich: Es gibt eine wirksame Therapie. Das inzwischen fünf Jahre alte Mädchen erhält monatlich eine Injektion mit dem Interleukin-1-Antagonisten Canakinumab, der die Entzündung blockiert. „Dem Mädchen geht es gut, es ist völlig normal entwickelt, besucht den Kindergarten und hat inzwischen alle Schutzimpfungen erhalten“, berichtet Brunner zufrieden.
Forschungsarbeit:
https://doi.org/10.1016/j.jaci.2