Ferdinand von Schirachs “Gott” in St. Gallen

Ein Theaterstück, das sich mit dem Thema Sterbehilfe auseinandersetzt.
St. Gallen Die Inszenierung von Ferdinand von Schirachs “Gott” im St. Galler Paillard-Bau in der Schweizer Fassung von Jonas Bernetta und Barbara-David Brüesch präsentiert sich als tiefgründiges und nachdenklich stimmendes Schauspiel. Das Stück, das sich intensiv und differenziert mit dem Thema Sterbehilfe auseinandersetzt, wird lebendig durch das schlichte, aber eindringliche Bühnenbild von Damian Hitz, das den Zuschauer unmittelbar in das ethische Dilemma hineinzieht.

Ferdinand von Schirach, geboren 1964 in München, wandte sich nach einer Karriere als Strafverteidiger dem Schreiben zu. Sein juristisches Fachwissen und seine Erfahrung mit den dunklen Seiten der menschlichen Natur spiegeln sich in seinen Werken wider, die häufig die Grenzen zwischen Recht, Moral und Gerechtigkeit ausloten. “Gott” ist ein Paradebeispiel für von Schirachs Fähigkeit, komplexe ethische Dilemmata in fesselnde Erzählungen zu verwandeln.
Das Stück greift ein aktuelles Thema auf: die Sterbehilfe.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Es stellt die Frage, ob ein gesunder, aber lebensmüder Mensch das Recht haben soll, mit ärztlicher Hilfe zu sterben. Ein fiktiver Ethikrat, bestehend aus Juristen, Medizinern und Ethikern, verhandelt den Fall der 78-jährigen Elisabeth Gärtner. Nach dem Tod ihres Mannes äußert sie den Wunsch, ihr Leben zu beenden, was eine Reihe moralischer und ethischer Fragen aufwirft.

Besonders hervorzuheben ist die Darstellung der Elisabeth Gärtner durch Heidi Maria Glössner. Ihr nuanciertes und berührendes Spiel verleiht der Figur eine Tiefe, die das zentrale Dilemma des Stückes greifbar macht. Ebenso überzeugend sind Diana Dengler als Dr. Brandt, Julius Schröder als Keller und Vera Bommer als Juristin Dr. Litten. Ihre Darstellungen tragen wesentlich dazu bei, das ethische Spannungsfeld des Stückes zu vertiefen.

Die Diskussion im Ethikrat bietet vielfältige Perspektiven auf das Thema Sterbehilfe, die Argumente reichen von rechtlichen Bedenken bis hin zu moralisch-religiösen Überlegungen. Manuel Herwig und Marcus Schäfer sorgen in ihren Rollen als Rechtsanwalt Biegler und Bischof Thiel für eindrucksvolle Momente, wenn sie ihre gegensätzlichen Standpunkte vertreten. Diese dynamischen Auseinandersetzungen sind ein zentrales Element des Stückes und spiegeln die Komplexität der Thematik wider. Das Ensemble leistet mit der nötigen Sensibilität und Tiefe einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema.

Das Besondere an dieser Aufführung ist die direkte Einbeziehung des Publikums. Am Ende des Stückes wird das Publikum aufgefordert, über das Schicksal von Frau Gärtner abzustimmen. Diese interaktive Komponente hebt “Gott” von herkömmlichen Theatererlebnissen ab und fördert eine aktive Auseinandersetzung mit der komplexen Thematik. Die Entscheidung des Publikums ist nicht nur ein dramaturgischer Höhepunkt, sondern auch ein Moment der kollektiven Reflexion und Selbstbefragung.

Alles in allem bietet “Gott” in St. Gallen eine ansprechende und nachdenklich stimmende Auseinandersetzung mit einem Thema, das in unserer Gesellschaft immer wieder für Diskussionen sorgt. Die Inszenierung ist vielleicht nicht in jeder Hinsicht stimmig, aber zweifellos wirkungsvoll, regt zum Nachdenken an und hinterlässt beim Publikum einen bleibenden Eindruck. Die Aufführung zeigt eindrucksvoll, wie Theater als Medium genutzt werden kann, um wichtige gesellschaftliche Fragen zu thematisieren und Diskurse anzuregen. Sie bestätigt einmal mehr die Relevanz des Theaters als Ort der Reflexion und des Dialogs in unserer Zeit.
“Gott” von Ferdinand von Schirach
Aufführungen: 1. Februar, 11. und 19. März, jeweils 19.30 Uhr
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten (keine Pause)
Großes Haus und Tonhalle
Museumstrasse 24/25
9000 St. Gallen