Schüler filmen Gewalt vor Schultüre: “Wo haben wir als Erwachsene versagt?”

Gewalt und Verbrechen / 09.05.2025 • 15:09 Uhr
Gewalt Schule Mittelschule Oberau
Direkt vor dem Eingang der Schule eskaliert die Gewalt. Video

Am Mittwoch eskalierte ein Konflikt vor einer Mittelschule in Feldkirch, die Täter filmten den Angriff. Warum Schüler mit Gewalt reagieren und wie man damit umgeht.

Feldkirch Ein Mittwochnachmittag, direkt vor dem Schuleingang: “Wir sind 200, du bist gef*”, ruft ein Heranwachsender. Der Angesprochene scheint kommen zu sehen, was nun folgt, reicht er doch seinen Rucksack weiter. Dann holt ein Schüler schon weit aus, die Faust schlägt gegen den Kopf des Mitschülers. Es entsteht ein Gerangel, ein weiterer Schüler tritt gegen das Opfer, sodass es zu Boden geht. Der Schüler, der den ersten Schlag ausgibt, würgt seinen Gegner, dessen Kopf rot anläuft. Er lässt erst locker, als ein anderer Schüler dazwischen geht. Keine halbe Minute dauert der Kampf inmitten der Schülerschaft, direkt vor dem Schuleingang.

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Die VN haben sich entschieden, das Video in anonymisierter Form zu zeigen, um die Problemlage, wie Jugendliche teilweise mit Gewalt umgehen, begreifbar zu machen. Anlaufstellen für Opfer von Gewalt finden Sie unter https://www.aha.or.at/gewalt, die Gewaltberatungsstelle des ifs hilft auch Tätern im Umgang mit ihrem Gewaltpotential.

Ein Schüler filmt den Gewaltakt mit, am Donnerstag sieht der Vater des Opfers die Aufnahmen und ist entsetzt. “Jetzt, nach zwei, drei Tagen kommt man langsam mit Gesprächen, keiner der Angreifer ist suspendiert”, fühlt er sich alleingelassen. “Es hat mich richtig schockiert, das zu sehen. Was machen wir als Gesellschaft, als Erwachsene falsch? Ich kenne das so aus meiner Jugend nicht”, ist er ratlos. Sein Vertrauen in die Lehrkräfte und Schulen ist erschüttert, er befürchtet, dass zu wenig getan wird.

“Wir sind keine Gewaltschule”

“Wir sahen das Video am Donnerstagabend, die beiden Klassenvorstände handeln”, versichert die stellvertretende Direktorin der Mittelschule. Ihr ist wichtig: Die Mittelschule Gisingen ist keine Problemschule, Gewalt weder alltäglich noch regelmäßig ein Thema. “Ich habe das große Glück, ein Kollegium zu haben, das nicht wegschaut”, betont Nicole Sonnweber. Auch am Mittwoch wurde eine Lehrkraft zu Hilfe geholt.

Gewalt Schule Mittelschule Oberau
Der Schüler läuft rot an, andere schauen nur zu oder filmen die Schlägerei. Nach einer halben Minute greift ein älterer Schüler ein.

Für die Lehrkräfte sind Konflikte eine große Herausforderung: Einerseits haben die Schüler Kontakt in Whatsappgruppen, andererseits ist Gewalt als Option in der modernen Medienwelt von Video bis Spiel allgegenwärtig. “Viele Eltern sind sich nicht bewusst, in was für einer Welt ihre Kinder am Handy unterwegs sind”, betont Sonnweber. Die Heranwachsenden tragen diese Konflikte in die Schulen, die die Lehrkräfte neben dem Unterricht oft lösen müssen. “Wir wären froh, wenn Eltern zuerst und früh genug den Kontakt zu uns suchen”, fasst Sonnweber zusammen. Der Weg zur Normalität gehe oft nur über viele Elterngespräche und Aufklärungsarbeit in den Klassen.

Sozialarbeit als Beziehungsarbeit

Für die Sozialarbeiter ist es wichtig, an den Schulen präsent zu sein und die Beziehungen zu den Schülern pflegen zu können”, erklärt Dominik Meusburger von der ifs Schulsozialarbeit. Nur so könne das Vertrauen aufgebaut werden, um früh genug über Eltern, Lehrkräften oder Mitschülern über aufziehende Konflikte informiert zu werden. Dies passiere aber oft noch zu spät. “Viele haben Angst, als Petzen angegriffen zu werden – dabei handelt es sich um Hilfe holen, sobald Menschen einen Schaden davontragen”, betont Meusburger.

Auch beim ifs betont man die Auswirkungen der Digitalisierung: Die Gewalt nahm nicht zu, ist aber sichtbarer geworden. Dies beginnt bei den sozialen Medien und endet mit Videos der Schüler selbst, wie hier in Feldkirch. Die Konfliktfähigkeit – der Umgang mit anderen Meinungen und einer gewaltfreien Konfliktbeilegung – unter Jugendlichen und in der Gesellschaft allgemein nahm gleichzeitig ab, erklärt Meusburger.

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Der Gewalt diese Normalität zu nehmen, bleibe viel Beziehungs- und Gesprächsarbeit, etwa mit Präventions- oder Interventionsworkshops, teilweise mit ganzen Klassen. Und diese endet nicht bei der Schulsozialarbeit, verweist Meusburger etwa auf die ifs Gewalt– oder Familienberatung bei schwierigeren Fällen.