Auf dem Podium: Margarete Zink, Nicholas Perpmer, Lisa Hämmerle und Brigitta Soraperra.
In der Reihe „Parallelen – Reden vom guten Leben“ im Theater am Saumarkt stand das Thema „Friedenskinder“ zentral.
FELDKIRCH Die Formatreihe „Parallelen – Reden über das gute Leben“, die von der Kulturhistorikerin Margarete Zink und dem Theater am Saumarkt gemeinsam entwickelt wurde, zieht mittlerweile auch Besucher über die Landesgrenzen hinweg an. Bei der Matinee am vorvergangenen Sonntag zum Thema „Friedenskinder“ wurde das Interesse an diesem Veranstaltungsformat erneut deutlich, denn nach einer spannenden Podiumsdiskussion erfolgte eine ausführliche, direkte Auseinandersetzung mit dem Publikum, welche durch das Erzählen von berührenden und höchst persönlichen Erlebnissen gekennzeichnet war. Die Kulturvermittlerin Brigitta Soraperra moderierte die Veranstaltung, neben Margarete Zink waren mit der Friedens- und Konfliktforscherin Lisa Hämmerle sowie Nicholas Perpmer, Spezialist für Internationale Beziehungen und Ayurveda-Medizin, zwei weitere ausgewiesene Experten vor Ort.
Verdrängen und Beschönigen
Friedenskinder sind die Enkel- und Urenkelgeneration der sogenannten Kriegskinder, also die Generation, die selbst bisher nicht direkt von einem Krieg betroffen waren – obwohl der Krieg mittlerweile wieder in Europa angelangt ist. Es ist inzwischen wissenschaftlich belegt, dass eine transgenerationale Vererbung von Traumata stattfinden kann und dies Menschen in ihrer alltäglichen Lebensführung beeinträchtigen kann. So berichtete Margarete Zink, die im Rahmen ihrer Biografieforschung oft mit direkten Kriegskindern, also der nachfolgenden Generation von Kriegsteilnehmern, in Kontakt kam: „Es gibt Menschen, die sich in ein Heile-Welt Schema flüchten. In meinen Zeitzeugen- und Zeitzeuginnen-Porträts war ich oftmals überrascht, wie manche Leute selbst von schrecklichsten Erlebnissen berichteten und dabei den Eindruck erweckten, als ob dies nichts mit ihnen zu tun hätte.“ Brigitta Soraperra relativierte diese verklärende Wahrnehmung dahingehend, dass es zum persönlichen Schutz des jeweiligen Menschen diene, wenn über bestimmte Themen nicht gesprochen wird oder nicht gesprochen werden kann und dadurch das Gefühl entsteht, dieses habe nicht stattgefunden. Doch dieses Verdrängen und Beschönigen, das in erster Linie scheinbar dem Überleben dient, hat enorme Auswirkungen.
Unterschiedlichste Folgewirkungen
Margarete Zink erzählte aus ihren eigenen Erfahrungen, inwieweit ein vererbtes Trauma sich auswirken kann: „Das reicht von einem diffusen Gefühl von Scham und Schuld – ‚denn wir nachfolgenden Generationen haben es ja gut‘ -, aber auch in einer nicht einordenbaren Angst und Trauer, die unter anderem zu Panikattacken beim Abschluss eines Studiums dazu führen kann.“ Vererbte Traumata können außerdem zu einer permanenten Heimatsuche und der unklaren Wahrnehmung der eigenen Identität führen. „Es kann aber auch ein Anerkennungsproblem oder ein übersteigertes Kontrollbedürfnis entstehen. Nicht selten wählen Betroffene heilende oder helfende Berufe.“ Lisa Hämmerle erläuterte, was ein Trauma ausmacht: „Dies ist eine Verletzung, Wunde oder Schädigung, die durch äußere Umstände erfolgt und zu einer Verrüttung der Selbstwahrnehmung und des Umfelds führen kann.“ Die Auslöser hierfür können sehr vielfältig sein, diese reichen von Kriegserlebnissen, Vergewaltigung, Missbrauch bis hin zu sozialer Ausgrenzung oder Mobbing. Ein Trauma werde höchst individuell erlebt, die Belastungsgrenze sei je nach Persönlichkeit sehr unterschiedlich, den Ausgangspunkt bilde ein Schockerlebnis.
Die Kulturvermittlerin Brigitta Soraperra moderierte mit viel Fachwissen die gutbesuchte Matinee.
Nicholas Perpmer ist überzeugt, dass es für die Aufarbeitung eines Traumas einen ganzheitlichen Prozess benötige, der auch den Körper des betroffenen Menschen umfasse. Lisa Hämmerle wies darauf hin, dass aufkommende Emotionen als ein Fingerzeig wahrgenommen werden können: „Wie wird eine Verletzung wahrgenommen? Wie gelingt es uns, mit Angst und Wut umzugehen?“ Für sie bildet die Traumatherapie eine Lösung: „Diese zielt auf die emotionale Intelligenz ab: Wie fühle ich mich? Und wie nehme ich andere Menschen wahr? Das Konzept umfasst die bewusste Wahrnehmung beider Positionen.“ Margarete Zink sagte: „Für die Aufarbeitung von vererbten Traumata kann für den Einzelnen oder die Einzelne ein geschütztes Setting in einer Psychotherapie sehr hilfreich sein. Auf kollektiver Ebene bringt die emotionale Geschichtsforschung sehr viel.“ Es gelte für jede und jeden, einen persönlichen Weg ohne jeglichen gesellschaftlichen Druck zu finden: „Die Friedensgeneration hat die Möglichkeit, ihr Trauma als solches zu erkennen und das Tabu schlussendlich zu brechen, indem über das Erlebte geredet werden kann.“ BI
Umfrage: Wie haben Sie die Veranstaltung wahrgenommen?
“Der heutige Themenbereich hat aufgezeigt, wie vielschichtig Friede sein muss. Ich bin insbesondere von den vielen persönlichen Geschichten, die heute zu Tage gekommen sind, sehr berührt.
Konstanze Walther, Feldkirch/Wien
Es war eine wahnsinnig tolle und sehr notwendige Veranstaltung. Die enorme Publikumsbeteiligung mit ganz persönlichen Erfahrungen hat die ganze Thematik viel greifbarer gemacht.
Mathias Hämmerle, Lustenau
Ich komme ursprünglich aus Mexiko. Und ich bin der Ansicht, dass es für alle Menschen einen Ort des Austausches braucht, wie es die heutige Veranstaltung gezeigt hat.
Diana Ramirez Hernandez, Feldkirch
Es war eine höchst würdevolle, aber auch inspirierende Auseinandersetzung mit der Thematik Krieg und Frieden, die zum Nach- und Weiterdenken anregt. Die „Parallelen“ sind ein schönes Format.