Vom Spinnrad zur Spinnerei: Wie Nenzing zum Industrieort wurde

Das bäuerlich geprägte Dorf wurde zum industriellen Zentrum des Walgau.
Nenzing Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war Nenzing im Walgau eine typische Agrargemeinde. Landwirtschaft und Forstwirtschaft prägten den Alltag, Heimweberei und Spinnerei boten bescheidenen Zuverdienst. Viele Männer und Frauen sahen sich gezwungen, als Saisonarbeiter auf Wanderschaft zu gehen – ein Schicksal, das sie mit den Bewohnern vieler Walgauer Gemeinden teilten. Doch Nenzing unterschied sich bald von seinen Nachbarn: Während andere Orte der beginnenden Industrialisierung mit Skepsis begegneten, suchte die Gemeinde gezielt nach Investoren. Die Lage zwischen Feldkirch und Bludenz war günstig, und mit der Meng verfügte man über reichlich Wasser – eine entscheidende Energiequelle jener Zeit.

Erste Spinnerei
1831 begann ein neues Kapitel der Ortsgeschichte: Das aufstrebende Unternehmen Getzner & Comp. errichtete die erste Baumwollspinnerei des Ortes. Die Anlage, nach modernster Technik ausgestattet, galt als Musterbetrieb und zog die Aufmerksamkeit weit über die Region hinaus auf sich. Bereits zuvor hatten sich entlang des Mengbaches kleinere Gewerbebetriebe angesiedelt. Aus einer Hammerschmiede entwickelte sich später das Kupferhammerwerk und daraus wiederum die Metallwarenfabrik Schatzmann – ein Beispiel für die wachsende industrielle Vielfalt im Ort. Um 1900 arbeiteten bereits rund 300 Menschen, etwa 15 Prozent der Bevölkerung, in Nenzings Fabriken. Mit der Klöppelspitzenfabrik Schallert kam ein weiterer großer Arbeitgeber hinzu. Doch die einseitige Abhängigkeit von der Baumwollindustrie machte sich bald bemerkbar: Als 1859 der amerikanische Bürgerkrieg den Baumwollhandel zum Erliegen brachte, stand die Spinnerei zwei Jahre still. Rund 170 Menschen verloren ihre Arbeit – eine soziale Katastrophe für das Dorf.

Hochwasser und Einwanderung
Auch Naturgewalten setzten der Industrie zu. Das Hochwasser von 1910 richtete schwere Schäden an den Fabrikanlagen an. Dennoch entwickelte sich Nenzing weiter. Ab 1884 kamen vermehrt italienische Arbeitskräfte ins Land – eine Einwanderungswelle, die den Bau der ersten Arbeiterwohnhäuser mit sich brachte. Mit der Industrialisierung wurde auch das Wassersystem entlang der Meng umgestaltet. Provisorische Leitungen wichen gemauerten Kanälen, die das Wasser zu den Turbinen der Kraftzentralen führten. Ende des 19. Jahrhunderts begann die Elektrifizierung: Getzner & Comp. errichtete 1896/97 das Mengbach-Werk, die Firma Schatzmann baute ihr eigenes Kraftwerk. Bei Energieengpässen tauschten die Betreiber untereinander Strom – ein frühes Beispiel regionaler Zusammenarbeit.
Vergangene Blütezeit
Als 1984 das Walgauwerk in Betrieb ging, endete die Ära des Mengwerks. Die einst typischen Industriebauten, die Nenzings Landschaft prägten, verloren ihre Funktion und wurden in den 1980er Jahren größtenteils abgerissen. Heute erinnern nur noch wenige Spuren an die industrielle Blütezeit: der breite Grünstreifen des ehemaligen Getzner-Werksgeländes mitten im Ort und die Gebäude der „Unteren Fabrik“.