Jenseits des Alltäglichen
„Tu erst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst du das Unmögliche.“ Ist das eine Gebrauchsanweisung für Wundersames? Autor: Florian Aicher | Fotos: Bernardo Bader Architekten
as gibt sich der neue Vorarlberger nicht weltoffen und zeitgemäß: Er hat Kultur, baut modern, pflegt die Avantgarde, umgibt sich mit Design, lebt gepflegt hedonistisch, rational und säkular.
Dabei steigt die Zahl der Bauten, die mit Religion zu tun haben, und Leuchttürme des neuen Bauens sind. Seit diesem Sommer zählt die neue Kapelle in Krumbach dazu.
Von außen betrachtet, erstaunt das. Nicht nur, weil man sich da kaum mit dieser Bauaufgabe abgibt; hier dagegen die Dichte dieser Bauten (bald könnte man einen Kapellenweg Vorarlberg anbieten), was so gar nicht hiesiger Sachlichkeit passen mag. Eine Täuschung? Gibt die Entstehung der neuen Kapelle Antworten?
Am Platz der neuen Kapelle stand ein Vorgängerbau, vor fast 150 Jahren errichtet, der Mutter Gottes gewidmet. Die Marienverehrung stand seinerzeit in Blüte, als Mittlerin zwischen Gott und den Menschen mag sie Glaubenszweifel besänftigt und den sichtbar werdenden Riss zwischen der Schöpfung und ihrer Ausnutzung überdeckt haben.
Der Zahn der Zeit hat an diesem Haus genagt. Trotz eingehender Untersuchung schied eine Sanierung aus. Was tun? Nachbarn brachten einen Neubau ins Gespräch, der Bürgermeister machte das zur Sache der Gemeinde, es bildete sich ein Kapellenteam, das jedem Gemeindemitglied offen stand. Der in Krumbach geborene Architekt Bernardo Bader stieß dazu, stellte seine Dienste ehrenhalber zur Verfügung, eine Exkursion und intensive Gespräche vertieften das Anliegen, und nach einem halben Jahr lag ein Plan vor.
So bildet der Neubau wie ehedem den Abschluss eines bescheidenen Nagelfluhrückens und verleiht der Kapelle eine gewisse exponierte Position. Der Neubau bleibt in seinen Außenmaßen im Rahmen seines Vorgängers – was einst Turmspitze war, bildet nun den First des kompakten, rundum verschindelten Holzbaus mit ungewöhnlich steilem Dach.
Eine offene Vorhalle empfängt den Besucher. Ein Portal öffnet sich zu dem einen, gegliederten Innenraum. Der Gemeinderaum ist ganz in Weißtanne ausgebildet; insgesamt ein Dutzend Spanten streben zur Dachspitze. Von diesem Raum setzt sich mit einer Stufe der weiß gekalkte Raum der Madonnenstatue ab. Er läuft spitz zu auf ein raumhohes Fenster mit Blick ins Grüne – Raum der Mutter Gottes, Königin der Fluren. Ein feierlicher Raum ganz ohne mystische Lichtführung oder irgendwelchen Materialkult.
Die Konstruktion scheint simpel – ist es jedoch nicht. Um das hoch aufragende Dach abzufangen, werden die Kräfte entgegen üblicher Erwartung als Faltwerk abgeleitet – mittels großer Holztafeln von 6 cm Stärke, kraftschlüssig und verformungssteif gefügt. Die inneren Spanten sind weder Stützen noch Streben – sie stabilisieren die Tafeln gegen Durchbiegung durch Winddruck. Im Kern moderner Holzbau, wettergeschützt durch Lärchen-
schindel.
Dabei ist dem Bau jede Extravaganz fremd. Ganz selbstverständlich steht er im Rahmen der ländlichen Gebräuchlichkeiten, spitzt lediglich hier oder da zu. So kann der großzügige Zugang die kommende Fronleichnamsprozession bereichern. Aus dem Umgang mit den Dingen gewinnt das Bauen Bernardo Baders seine Qualität.
Einfaches, das nicht leicht ist und die Zusammenarbeit aller Beteiligten erfordert. Handwerkliches Können und engagiertes Teamwork sind das eine, die sprichwörtliche Bregenzerwälder Handwerkskunst das andere. Eins greift ins andere – geleitet durch den Geist, der das ins Werk gesetzt hat:
Ein großer Teil der Arbeiten, der anfiel, wurde von zahlreichen Helfern ehrenamtlich erbracht, auch wenn Fachleute ranmussten. Die Leistungen der Fachbetriebe wurden zu sehr entgegenkommenden Konditionen abgerechnet oder ohne Verrechnung erbracht. Die verbleibenden Kosten sind über Geldspenden finanziert. Die Gemeinde Krumbach hat sich mit 20.000 Euro am Bau der Kapelle beteiligt, dem wurde politisch einvernehmlich zugestimmt.
Der Bau: ein Gemeinschaftswerk. Die Umsetzung: tatkräftiges Zupacken aller Beteiligten. Der Entschluss: eine öffentliche Angelegenheit. So funktioniert Gemeinde hier und deshalb gelingt, was anderswo bereits in den Ansätzen stecken bleibt. Gern werden die Kosten bemüht. Wie sieht es damit aus? Bei dem hohen ehrenamtlichen Beitrag schwer zu sagen. Nur so viel: kein halbes Appartement würde man im Rheintal für die ausgegebene Summe kriegen. Wir lernen: Es gelingt auch in unserer so nüchternen Zeit so manches, wenn man beherzigt, wozu Franz von Assisi rät: „Tu erst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst du das Unmögliche.“
Ist es dieser Geist, den unsere Zeit trockener Sachlichkeit mitunter braucht; der zu all den Kapellen inspiriert? Was die Geschichte der Krumbacher Kapelle zeigt: Viel ist, was muss zusammenkommen. Ort, Geschichte, Gemeinde, Können – gebündelt im Willen und der Freude all derer, die an einem solchen Werk mittun.
Es geht mir um Beziehungen zum konkreten Ort und dessen Menschen, aus dem heraus die Architektur ihre Eigenschaften bezieht.
Deutlich geschieden: Sockel, Wand und Dach. Die Kapelle ähnelt üblichen Feldkapellen und macht mit der Öffnung am Kopf doch eine andere Figur.
Deutlich abgesetzt: der helle, heilige Bezirk mit Maria, Königin der Fluren. Von hier kommt das Licht, der Blick geht hinaus in die Natur.
Der Gemeinderaum bringt mit seiner Gliederung und Verkleidung ringsum aus Weißtanne Bregenzerwälder Stuben in Erinnerung.
Sorgfältige Modellstudien waren bei der Erörterung der richtigen Gestalt in der Gemeinde hilfreich.
Bei einer Messe zur Eröffnung – als Maiandacht, wie es sich für eine Marienkapelle gehört – konnte die Kapelle eröffnet ihre Tauglichkeit beweisen.
Wer war zuerst: Der Bau oder der Ort in der Landschaft? Schwer zu sagen, wo das eine so ins andere spielt.
Vor der Kapelle Der befestigte Platz bietet Platz für Gottesdienste im Freien.
Wie die gesamte Gebäudehülle ist der Vorraum – auch Schopf – wetterbeständige Lärche, die Eingangstür ist gehämmertes Messing.