Provokante Arbeiten einer Künstlerin

Kultur / 17.03.2020 • 08:25 Uhr
 Subversiv und treffend: Papptellerchen von Anne Marie Jehle, eine Arbeit, die vor Jahren im Frauenmuseum in Hittisau ausgestellt war. <span class="copyright">R. Sagmeister<span class="marker"></span></span>
Subversiv und treffend: Papptellerchen von Anne Marie Jehle, eine Arbeit, die vor Jahren im Frauenmuseum in Hittisau ausgestellt war. R. Sagmeister

VN-Bildbetrachtung mit Arbeiten der lange verkannten Künstlerin Anne Marie Jehle.

Bregenz Wo treffen sich die Spießer? Richtig, am Stammtisch und am Würstelstand. Dass beides derzeit aufgrund des Erlasses der Bundesregierung als Schutzmaßnahme gegen das Coronavirus gerade nicht möglich ist, ändert nichts an der Tatsache, dass sich so mancher Mann leider immer noch als Spießer entpuppt, dass er somit eine festgezurrte Meinung hat, dass er felsenfest überzeugt davon ist, dass sein Bild von der Welt das richtige ist und dass er alles, was seinen Horizont bzw. seine Denkfähigkeit übersteigt, sowieso nicht anerkennt. Mit einem kleinen Kunstwerk, einer mit einfachen Mitteln entworfenen, aber politisch aufgeladenen Arbeit, hat die Künstlerin Anne Marie Jehle (1937-2000) dies vor Jahren schon verdeutlicht. “Jeder Spießer ein Diktator” steht auf einem Papptellerchen, auf dem im Allgemeinen heiße Würstel serviert werden. 

„Die Aussagen, die Anne Marie Jehle getroffen hat, sind gerade jetzt wieder aktuell.“

Rudolf Sagmeiser, Kunsthistoriker

Anne Marie Jehle, aus Feldkirch stammend, war eine der wenigen Fluxus-Künstlerinnen aus Vorarlberg, erzählt der Kunsthistoriker Rudolf Sagmeister. Mit Fluxus wird eine Kunstrichtung bezeichnet, bei der es weniger auf das Werk oder Objekt an sich ankommt, sondern auf die Idee, die dahintersteht. “Jehle stieß innerhalb dieser Bewegung auf Anerkennung, war gut vernetzt und vor allem auch in den USA sehr bekannt. Viele ihrer Arbeiten sind hierzulande leider gar nicht rezipiert worden.” In letzter Zeit habe sich das geändert. Arbeiten von Anne Marie Jehle wurden erst jüngst in die erste Ausstellung der Kunsthalle Wien unter neuer Leitung aufgenommen. Eine Arbeit prangt auf der Fassade des Kunsthaus Bregenz. Es ist die Vergrößerung eines Selbstporträts, mit dem sie einst darauf aufmerksam machte, dass Werke von Künstlerinnen in den Museen und Kunsthallen nicht entsprechend vertreten waren. Das Frauenbild, das Museen im Allgemeinen dokumentierten, war das, das Männer hatten, und bevorzugt waren sie sowieso nackt. Jehle ließ ein einfaches Fotoporträt von sich anfertigen und überzog ihre entblößten Brüste mit der Aufschrift “Kunsthaus”. Bei der Entstehung des Werks hatte sie die große Institution in Zürich ins Auge gefasst, das Kunsthaus Bregenz, das erst im Jahr 1997 eröffnet wurde, verweist auf die kluge Arbeit und macht sie weithin sichtbar.

Arbeit von Anne Marie Jehle an der Fassade des Kunsthaus Bregenz. Mit dem Werk hat sie die seltene Präsenz von Künstlerinnen in den Museen thematisiert.  
Arbeit von Anne Marie Jehle an der Fassade des Kunsthaus Bregenz. Mit dem Werk hat sie die seltene Präsenz von Künstlerinnen in den Museen thematisiert.  

Reinlich und zu Hause

Mit vielen Installationen spielte Jehle auf die Rolle der Frauen in der Gesellschaft an, die im 20. Jahrhundert noch sehr um ihre Rechte zu kämpfen hatten. Ironisch, intelligent und bissig nimmt sich die Installation mit dem Waschbecken, zwei Seifenschalen und der Schrift “Ich bin daheim J.” aus. Reinlich sollte die Frau sein und bevorzugt zu Hause.

 Kleine Feldkirch-Postkarte mit aktuellem Statement von Anne Marie Jehle.
Kleine Feldkirch-Postkarte mit aktuellem Statement von Anne Marie Jehle.

Eine weitere Arbeit, nämlich ein Bild von einem Mädchen mit einer Postkarte, bezieht Rudolf Sagmeister gerne auch auf die momentane Situation der Künstler, für die es keinerlei Auftrittsmöglichkeiten gibt. “Es gibt schon Städte, die vergessen ihre Künstler einfach”, steht auf dem Bild mit dem kleinen Mädchen, das eine Postkarte trägt, auf der ein recht idyllisches Bild von Feldkirch mit dem Katzenturm zu sehen ist. Sagmeister: “Anne Marie Jehle ist genau das in ihrer Heimatstadt passiert. Vielleicht denken wir daran, dass es für Künstlerinnen und Künstler, die sich meist in Ein-Frau- und Ein-Mann-Betrieben organisieren, existenziell von Bedeutung ist, nicht einfach vergessen zu werden.”

Die Frau sei reinlich und daheim: Installation mit Waschbecken von Anne Marie Jehle.
Die Frau sei reinlich und daheim: Installation mit Waschbecken von Anne Marie Jehle.