Betrachtung zu einem Ostern ohne Halleluja

Durch die Coronakrise entfällt heuer eines der ältesten liturgischen Symbole der Auferstehung.
SCHWARZACH Ein Ostern ohne Halleluja – das ist wie Weihnachten ohne „Stille Nacht“, wie Schuberts Unvollendete. Zugegeben: Es gibt bei den durch die Coronakrise erzwungenen Maßnahmen in unserem Alltag weit Wichtigeres als das. Doch für gläubige Menschen fehlt damit ein essenzieller Bestandteil des Osterfestes. Denn wie, fragen sie sich, kann Christus wahrhaft auferstehen, wie es in der Bibel heißt, wenn dazu nicht das Halleluja ertönt, jener Jubelruf, der zu den ältesten und wichtigsten liturgischen Symbolen des Osterfestes gehört, als starkes Zeichen des Glaubens und der Verehrung des Auferstandenen? Diesen Ruf wird man heuer erstmals seit Menschengedenken in unseren Kirchen vermissen, nachdem neben dem kulturellen und wirtschaftlichen auch das religiöse Leben heruntergefahren wurde. Das soll Anlass bieten für eine Musikbetrachtung.
Die Kirche feiert Ostern, ihr größtes Fest um die Auferstehung des Herrn, mit diesem in seiner Schlichtheit ergreifenden Ruf, der bei der Osternachtfeier dreimal hintereinander vom Kantor oder Priester gesungen und vom Volk oder Chor in der nur von Kerzen erleuchteten Kirche wiederholt wird. Wenn das fehlt, können auch erfindungsreiche Maßnahmen wie „Kirche goes Internet“ mit gut gemeinten TV-Übertragungen aus leeren Kirchen nur einen schwachen, weil sterilen Ersatz bieten.
„Für mich ist das Halleluja der Ausdruck von überschwänglicher, großer Freude.“
Benjamin Lack, Chorleiter, Dirigent
Wie unersetzlich für ihn das im Original gesungene Halleluja ist, bestätigt auch der Feldkircher Domkapellmeister Benjamin Lack als einer, der sich auch mit langjährig erworbener Routine im Umgang mit liturgisch-musikalischen Dingen durch das Kirchenjahr die notwendige Leidenschaft dafür bewahrt hat: „Da ja der Halleluja-Ruf von Aschermittwoch an die Fastenzeit hindurch verstummt, ist es für mich immer wieder ein Ereignis, wenn in der Liturgie der Osternacht das Halleluja nach 40 Tagen in seiner vollen Pracht wieder angestimmt wird. Für mich ist das Halleluja der Ausdruck von überschwänglicher, großer Freude.“
Psalmvertonungen
Auch mich hat der Halleluja-Ruf lebenslang begleitet, mit einer Zuneigung, die sich stets erweitert, vergrößert, vertieft hat. Es gehört zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen, als mich meine Mutter als Fünfjährigen mitnahm zur Osternachtfeier in die St. Pauluskirche in Luzern, wo ich aufgewachsen bin. Nach dem Unterricht am Konservatorium Bregenz bei Günther Fetz war ich als Organist regelmäßig jedes Jahr in der Osternacht tätig, hatte als „Ruf vor dem Evangelium“ das österliche Halleluja zu begleiten und zum festlichen Auszug jenes von Händel zu spielen. Das bis heute in der römisch-katholischen Religion gebräuchliche Halleluja zählt zu den ältesten Gesängen im Gottesdienst. In seinem Ursprung ist es die deutsche Übersetzung des hebräischen „halelu-Jáh“, eines liturgischen Freudengesanges in der jüdisch-christlichen Tradition und Aufruf zum Lobe Gottes. Der Text in der Bedeutung von „Preiset Gott“ basiert auf den Psalmen des Alten und Neuen Testamentes und wurde in dem nach Papst Gregor im siebten Jahrhundert benannten „Gregorianischen Choral“ in schlichter Einstimmigkeit vielfach vertont. Sie sind Teil der zunächst unbegleiteten lateinischen Psalmvertonungen des Wortes Gottes aus dem frühen Christentum, wie sie bis heute einen wesentlichen Bestandteil der Liturgie bilden. Der Kirchenlehrer Augustinus nannte das Halleluja den „Gesang der Erlösten“, als unverwechselbare Erkennungsmelodie von uns Christen.
In der lebendigen Musizierpraxis unserer Tage hat sich das Halleluja-Thema als beliebtes Thema in vielen Epochen, Stilen und Moden des musikalischen Erfindergeistes rasch über den Erdball verbreitet. Markanter Ausgangspunkt dafür ist Georg Friedrich Händels prachtvoller Halleluja-Chor aus seinem 1741 in London entstandenen Oratorium „Der Messias“.
Besonderheiten
Der Zufall wollte es, dass man dieses Oratorium mit heimischen Mitwirkenden in letzter Zeit bei uns in zwei gegensätzlichen inhaltlichen Auffassungen zu hören bekam. Das eine war im November 2016 eine effektvoll mit neuen Ideen wie schauspielernden Solisten und eingeblendeten Live-Reportagen aufgepowerte Inszenierung im Rahmen der Montforter Zwischentöne, mit dem Feldkircher Kammerchor und dem Barockorchester Concerto Stella Matutinam streng auf den Originalklang ausgerichtet, das andere im Juni 2018 eine historisch informierte, konventionelle, aber durch ihre Intensität begeisternde Aufführung in der Wallfahrtskirche Maria Bildstein mit dem vom jährlichen Requiem bekannten Ad-hoc-Chor und der Sinfonietta Vorarlberg. Am Dirigentenpult wurde Benjamin Lack den divergierenden Anforderungen in beiden Fällen gerecht.
Für Lack entwickelt das darin enthaltene „Halleluja“ aber auch nur dann seine volle Wirkkraft, wenn es im Kontext des gesamten Oratoriums und nicht als Einzelwerk aufgeführt wird. Ansonsten finden sich auf der Liste seiner persönlichen Halleluja-Lieblinge spezielle Besonderheiten wie der Abschluss der „Regina Coeli“-Vertonungen von Mozart, der Schlusschor im zweiten Teil von Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ und das Finale der Coronation-Anthems „Zadok the Priest“ von Händel. Eine besondere Kostbarkeit ist auch jenes Alleluja, das Mozart ans Ende seiner „Vesperae solennes de confessore“ gesetzt hat und das bis heute zum attraktiven Prüfstein für jede unerschrockene Koloratursopranistin geworden ist.
Bis hin zu Rammstein
Die Palette von Musikstücken aller Art zum Halleluja-Thema wird auch weit über Ostern hinaus für sakrale und weltliche Anlässe genreübergreifend gleichermaßen für Hochzeiten und Trauungen verwendet. Da erfreut sich die 1984 entstandene Version des kanadischen Liedermachers Leonard Cohen als meistgecoverter Song weltweit besonderer Beliebtheit (sensationell die Youtube-Version der Gruppe Pentatonix), aber auch das Siegerlied des Eurovision Song Contest 1979 mit der Gruppe Milk & Honey wird gerne gehört. Sowohl im Film („Drei Fäuste für ein Halleluja“, 1971) wie im Musical („Halleluja, heut ist Weihnacht!“, 1981) begegnen wir dem Thema, auch die aktuelle deutsche Popszene wie Marius Müller-Westernhagen, die Gruppe Rammstein oder das Berliner Hip-Hop-Duo Audio88 & Yassin hat sich damit auseinandergesetzt. Mit etwas Entdeckergeist findet man sogar in der bayerischen Kabarettszene Ludwig Thomas Dauerbrenner „Ein Münchner im Himmel“ (1911), der in der Person von Adolf Gondrell dort oben bloß „a Manna“ statt einer Maß bekommt und ständig frohlocken sollte. Seinem Unmut macht er in einem verballhornten „Luja sog i!“ Luft.
2020, ein Jahr ohne Halleluja in den Kirchen. Doch niemand kann uns die Hoffnung verwehren, dass alles wieder so wird, wie es war. Fritz Jurmann