Der Welt zeigen, wie still es wird ohne Musik

Die Sängerin Sabine Winter stellt essenzielle Fragen.
Feldkirch Von Beginn an wollte sich Sabine Winter nicht in einer bestimmten Schublade sehen. Sie ist im Liedgesang, der Kirchenmusik, im Jazz und mit viel Liebe vor allem auf der Opern- und Operettenbühne zuhause. Umso mehr schmerzt es, dass nun gleich zwei dieser im Land seltenen Bühnenpartien um ein Jahr verschoben wurden.
Die neue Produktion des Musicals „My fair Lady“ beim Musiktheater Vorarlberg wird auf 2021 verschoben, Sie verlieren damit die tolle Titelrolle als Eliza Doolittle?
Ich habe diese Partie bereits 2017 in Vaduz gesungen, wo ich im März 2021 „Kiss me Kate“ singen werde. Eliza macht großen Spaß. Sie sollte sich in dieser Fassung vom Vorarlbergerischen ins Hochdeutsche entwickeln. Wie das mit meinem Kauderwelsch an Dialekten geworden wäre, weiß ich allerdings nicht. Leider ist es mit einem halbleeren Saal wirtschaftlich einfach nicht machbar.
Ein Problem waren auch die Abstände der Akteure bei den Proben zueinander?
Ja, wenn man sich nicht ansingen, nicht nahekommen darf, fehlt schon etwas. Leider muss nun überall so inszeniert werden, doch wer weiß, wie das nächste Jahr ist. Im Moment blutet uns das Herz, und es bedeutet für alle Beteiligten, dass sieben Wochen im Kalender für Proben und Aufführungen blockiert waren. Die sind nun weggebrochen.
Die andere Absage betraf eine Partie in der Festspielproduktion „Madama Butterfly“, die auf 2022 verschoben wurde.
Darauf hab‘ ich mich besonders gefreut, denn die Musik ist ein berührendes Meisterwerk. Meine Rolle ist zwar nur eine „Wurz’n“ (kleine Partie), verschärft aber dramaturgisch nochmal die Schlussszene. Die Vorfreude bleibt.
Wie war Ihr Alltag in der ersten Zeit des Lockdowns?
Zunächst haben wir, mein Mann, die beiden Buben mit knapp sieben und acht Jahren und ich, beschlossen: Das muss jetzt nun mal sein, wir genießen diese Zeit als Familie, werkeln im Garten, spielen im nahen Wald. Aber schon nach einer Woche dachte ich mir, ich komm‘ aus der Küche nicht mehr raus. Mein Mann war anfangs noch viel daheim, mit den Kindern gab es Homeschooling, mit den Schülern virtuellen Unterricht. Alles zusammen war dann doch recht stressig. Dann die vielen Konzertabsagen – es war ein kreatives Loch.
Neben dem künstlerischen Verlust bleibt für Sie auch ein finanzieller, auch wenn Sie als Musiklehrerin ein festes Gehalt beziehen?
Ja, vor allem weil diese Phase noch länger andauern wird. Da bin ich froh, auch ein pädagogisches Studium absolviert zu haben. Gesang zu unterrichten, ist eine schöne Aufgabe. Der Energieaustausch, die Freude bei den Sängerinnen und Sängern zu sehen, das macht mich glücklich. Und wenn die Technik sitzt oder Schülerinnen Gesang studieren gehen, kann man auf hohem Niveau mit ihnen arbeiten.
Können Sie Ihre Schüler noch guten Gewissens auf die Zukunft vorbereiten?
Ich bin zwar ein optimistischer Mensch, aber in diesem Falle mit etwas Bauchweh, denn man weiß nicht, wie es mit der Kultur weitergeht. Man öffnet den Flugverkehr und die Gasthäuser, aber man darf nicht zwei Stunden mit Maske im Konzert nebeneinandersitzen. In England sind die Theater bis Frühjahr 2021 geschlossen, aber die Pubs haben offen. Man degradiert Musik und Kultur zu einem „Nice to have“. Künstler werden als entbehrlich an den Rand gedrängt. Wir machen nicht nur einen „Job”. Da liegen viel Seelenschweiß und Herzblut drin. So fühlt man sich nicht wahrgenommen. Da frag ich mich: Wo stehen wir eigentlich? Sollen wir unter diesen Umständen weiter mit gutem Gewissen noch junge Musiker ausbilden?
Gab es auch positive Erfahrungen während des Lockdowns?
Wir, rund um Bernd Konzett, haben für die Lustenauer Senioren musiziert. Sie waren so glücklich und wir auch nach dem langen Schweigen. Da merkt man, wie kostbar das Live-Erlebnis ist. Bei diesen ganzen Wohnzimmer-Social-Media-Konzerten dachte ich mir irgendwann: Warum seid ihr nicht einfach mal still, damit man merkt, dass etwas fehlt. Der Welt zeigen, wie leise es wird ohne Musik, wie grau und eintönig ohne Akteure, denn ”Kunst existiert, weil das Leben allein nicht ausreicht” (Feirreira Gullar). Fritz Jurmann
Sabine Winter
Geboren 1979 und wohnhaft in Feldkirch
Ausbildung Studium in München in Gesang und Querflöte, Meisterkurse u. a. bei Brigitte Fassbaender, Edith Mathis.
Tätigkeit Konzert- und Opernsängerin; Lehrtätigkeit an der Musikschule Dornbirn
5. September, 19.30 Uhr, Konzert im Kloster Gwiggen, Hohenweiler