Musiktipps. Von Felix Holzer

Kultur / 30.07.2020 • 19:13 Uhr

KÜNSTLER Melt Yourself Down

ALBUM 100 % Yes

LABEL Decca

Es zeugt durchaus von einem gewissen Selbstbewusstsein, wenn man seine Platte auf goldenes Vinyl pressen lässt. Melt Yourself Down dürfen das, alles andere wäre auch unter der Würde dieses relevanten Albums. Es ist bereits das dritte der britischen Punk-Funk-Fusion-Kapelle, die 2012 aus der Asche der Bands Acoustic Ladyland und Polar Bear entstiegen ist und ihren musikalischen Horizont im Rauch und Rausch sogenannter Nubian-Partys, wie sie im damaligen Londoner Unterground en vouge waren, mit diesem Projekt manifestiert haben. Auf „100 % Yes“ liefert das Sextett um den umtriebigen Saxofonisten Pete Wareham ein explosives, größtenteils atemberaubendes Klanggewitter, das die Grenzen zwischen Jazz und Punk, Europa und Afrika sowie der Erde und dem Weltall aufhebt. Melt Yourself Down positionieren sich hier als Bindeglied zwischen den befreundeten Bands The Comet is Coming und Sons of Kemet und sind gleichzeitig, wie man in den Sechzigern gesagt hätte, „Far Out“, sprich politisch, gesellschaftskritisch und zudem überaus tanzbar.

KÜNSTLER El Michels Affair

ALBUM Adult Themes

LABEL Big Crown Records

Der amerikanische Produzent und Multiinstrumentalist Leon Michaels ist ein wichtiges Puzzlestück im Soul-Revival der letzten Jahre. Doch nicht nur seine Arbeiten mit Lee Fields oder Sharon Jones & The Dap-Kings gelten in einschlägigen Kreisen als Klassiker, es sind die beiden Wu Tang Clan-Tribut-Alben „Enter The 37th Chamber“ und „Return To The 37th Chamber“ der El Michaels Affair, die genreübergreifend sowohl in den Plattensammlungen von Soul/Funk- wie auch Hip-Hop-Enthusiasten Einzug hielten. Drei Jahre nach dem Erscheinen der letztgenannten Platte liegt nun mit „Adult Themes“ ein Werk vor, das zwar nicht mehr im assoziativen Spielraum der Sample-Kultur beheimatet ist, dafür aber mit der Wiederentdeckung des Cinematic Soul eine komplett neue Bandbreite an Melodien zulässt. Wer da mit der Retrokeule schwingt, verletzt sich am Ende selbst damit, denn hier wird nicht der klassische Agentenfilm-Soundtrack kopiert, vielmehr werden schon jetzt zeitlose Klassiker feilgeboten. Im Wissen um die Größe der Kompositionen von Leon Michaels schmerzt der Verlust von Ennio Morricone gleich etwas weniger.

KÜNSTLER Nadine Shah

ALBUM Kitchen Sink

LABEL BMG Rights/Warner

Es gibt ihn also doch noch, den ganz großen Pop. Die üblichen Zutaten wie etwa eingängige Melodien, clevere Texte und eine Prise Genremix garniert die britische Sängerin mit Wurzeln in Norwegen und Pakistan mit einer ihr eigenen Lässigkeit. Es ist dies bereits das vierte Album von Nadine Shah, die am Beginn ihrer Karriere noch als Synthese von Nick Cave und PJ Havey beschrieben wurde. Musikalische Emanzipation brachte ihr bereits das 2017-Werk „Holiday Destination“, in welchem sie ihren eigenen Stil fand und sich inhaltlich mit Krieg und Verdrängung auseinandersetzte. 2018 wurde die Platte für den renommierten Mercury-Price nominiert. Von diesen Inhalten ist auf „Kitchen Sink“ nicht mehr viel zu hören. Shah singt über auf den ersten Blick unscheinbare Traditionen, über Identitäten im Geschlechterkampf und bohrt im Laufe der Spielzeit viele kleine Löcher in diese scheinbar gesellschaftliche Oberflächlichkeit, aus denen genau jene Gase entströmen können, welche den Texten beim genaueren Hinhören jene spezielle Intoxikation verleihen, die sie zu nachhaltigen Pop-Perlen mutieren lässt.