Die Chance nützen
Der Bregenzer Ex-Bürgermeister Linhart begründete den Ausstieg aus der Bewerbung für die Europäische Kulturhauptstadt im typischen Politikerjargon: „… Rahmen des bisherigen Verfahrens … intensive Mitarbeit … Prozess wertvoll … großes Potenzial … nicht leicht gemacht … Groschen einfach nicht gefallen … Bregenz ist Kulturhauptstadt!“ Punktum, was sonst. Und weiters fabulierte er, dass es zu so einem Ausstieg Mut brauche und diesen Mut zeige er nun. Da hatte er wohl Hochmut mit Mut und im Falle der Kulturhauptstadt Bregenz auch das Präsens mit der Vergangenheit verwechselt.
„Internationalität, Offenheit und Expertise ersetzt die städtische Kulturpolitik in Bregenz mit provinzieller Beschränktheit und künstlerischem Mittelmaß.“
Richtig ist vielmehr, dass Bregenz eine kulturelle Metropole war, die über die Festspiele und die vom Land finanzierten Einrichtungen vom Kunsthaus über das Landestheater bis zum Landesmuseum, aber auch mit den städtischen Beiträgen Magazin 4, dem Tanzfestival Bregenzer Frühling, der Meisterkonzerte, dem Kosmos Theater, der „Kunst in der Stadt“ und den Ausstellungen im Palais Thurn und Taxis über ein international ausstrahlendes, differenziertes und hochkarätiges Kulturangebot verfügte. Da gab es über viele Jahre hoch engagierte, visionäre und (Gott sei Dank über-)qualifizierte Leiter des Kulturamtes wie Oskar Sandner und Wolfgang Fetz, die künstlerische Größen wie Arturo Benedetti Michelangeli, Grigory Sokolow, Shirin Neshat oder María Pagés & Sidi Larbi Cherkaoui nach Bregenz brachten und mit ihrer Expertise und ihrem Elan kräftige kulturelle Lebenszeichen für Bregenz setzten. Und es gab eine Kulturstadträtin Judith Reichart, die aus der Kulturszene kam und sich als deren Anwältin verstand.
Das Magazin 4 organisierte exemplarische Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die über den Tellerrand lokaler Eitelkeiten blickten, der Bregenzer Frühling brachte hochkarätige Tanzgruppen nach Bregenz und konnte mit großen internationalen Festspielen mehr als mithalten, und es gab ein „Kunst in der Stadt“-Projekt, das vorbildhaft auch für unsere KÖR-Initiative (Kunst im öffentlichen Raum) in Wien war.
Heute begnügt man sich damit, Kunstwerke an einem Kreisverkehr abzustellen und ihrer Verwahrlosung entgegendämmern zu lassen, Sitzkissenkonzerte im Rahmen der Meisterkonzerte zu veranstalten, eine inferiore Sommerausstellung zu realisieren, die die an sich engagierte Sammlung der Stadt zum Schlechten gab, und eine gemeinsame Europäische Kulturhauptstadt zu verhindern.
Intellekt, Internationalität, Offenheit und Expertise ersetzt die städtische Kulturpolitik in Bregenz mit provinzieller Beschränktheit und künstlerischem Mittelmaß. Die Benchmark bilden offenkundig nicht mehr Kunstmetropolen wie Zürich oder Wien, sondern beschauliche Orte wie Langenargen und Rorschach.
Eine Kulturstadt darf und soll auch lokale Verortung und Interaktion pflegen, aber sie braucht auch internationalen Austausch und Vernetzung auf höchstem Niveau, Inspiration, Innovation und Visionen. Doch erfreulicherweise werden manchmal Sprichworte wahr. In diesem Fall, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Und nun scheint auch beim Bregenzer Bürger der Groschen gefallen zu sein. Durch das Wahlergebnis hat Bregenz die Chance, einen kulturpolitischen Neuanfang zu setzen.
Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
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