Es geht auch um unsere Demokratie und Freiheit

Kultur / 27.01.2021 • 19:15 Uhr

In Zeiten des für Kultur und Kunst so unheilvollen Lockdowns verbreitet sich zunehmend ein neues Phänomen, ein antikünstlerischer Virus: Cancel Culture, was auf Deutsch wenig charmant Absage- oder Löschkultur bedeutet. Cancel Culture ist en vogue und ist nichts anderes als eine neue Form von Selbstjustiz. Über Schuld oder Unschuld eines Menschen entscheiden nicht mehr die Gerichte, sondern meist ein über das Internet gesteuerter Mob und die Interessen selbsternannter Moralhüter. Die neue Inquisition sucht sich in hasstrunkener Selbstgerechtigkeit ihre Sünder im Besonderen in der Welt der Kunst, Wissenschaft und Kultur. Geradezu selbstverständlich werden dabei Boykott und Rufmord als neue außergewöhnliche, aber umso wirksamere soziale Strafen verhängt.

So wurde jüngst die scharfzüngige Kabarettistin Lisa Eckart von einem Literaturfestival ausgeladen. Die Verantwortlichen verwiesen auf gefährliche Drohungen im Netz gegen ihre Person und ihren geplanten Auftritt. Dabei genügt es bereits einer Künstlerin das Etikett „umstritten“ anzuhängen, um ihre Arbeit prophylaktisch von der Öffentlichkeit fernzuhalten. Wenn die Ausladung aus Angst vor einem gewaltbereiten Mob geschah, dann muss man sich um die Freiheit der Kunst in Deutschland ernste Sorgen machen. War sie jedoch nur eine Ausrede eines um Harmonie und politische Korrektheit bemühten Veranstalters, so ist dies nichts anderes als eine feig verbrämte Zensur. Dass Satire in der Übersteigerung von Ressentiments und Vorurteilen besteht, um jene die ihr anhängen lächerlich zu machen, scheint der Sacra Rota der des neuen „totalitären Moralismus“ entgangen zu sein.

Als Gast im Literarischen Quartett wurde sie gar vom Autor Maxim Biller mit Untergriffen wie „aus der Zeit gefallene Ostmarkkabarettistin“ diskreditiert. Das ist leider kein Einzelfall. Der Kunst geht es nun schon länger an den Kragen. Museen verklären sich in ängstlichem vorauseilendem Gehorsam zu moralischen Anstalten. Die Kunst, die sich nicht dem neuen zeitgeistigen Moralkanon und aktuellen Identitätspolitischen Intrigen unterwirft, wird entweder nicht gezeigt oder entsorgt. In der moralinsauren Welt der dauerempörten politisch Korrekten haben Kritik, Dialektik oder gar Ironie keinen Platz mehr. Kunst, die irritiert, Zweifel sät, durch Radikalität und Überspitzung Selbstbetrug und Pharisäertum an den Pranger stellt und Konventionen aufbricht, wird unter Generalverdacht gestellt. Ja, die Kunst selbst wird zum nicht tolerierbaren Skandal. Die im Namen der Political correctness zum Sieg der Moral und Verbesserung der Welt gegen Kunst und Kultur geführten Attacken erinnern fatal an dunkle Zeiten der Bücherverbrennung und Berufsverbote. Künstler wehrt Euch, rettet die Kunst vor denkreglementierender P. C. und menschenverachtender Cancel Culture.

„In der moralinsauren Welt der dauerempörten politisch Korrekten haben Kritik, Dialektik oder gar Ironie keinen Platz mehr.“

Gerald Matt

gerald.matt@vn.at

Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.