Haiku statt Tagebuch und Skandale

Haikus sind eine wunderbare Art, schnell, einfach und erfolgreich literarisch kreativ zu werden. Das Haiku ist eine japanische Gedichtform, welche aus drei Zeilen besteht. Entscheidend sind die Silben pro Zeile. Die Wortanzahl ist dabei egal. Die Gruppierung der Silben ordnet sich folgendermaßen an: erste Zeile fünf Silben, zweite Zeile sieben Silben, dritte Zeile fünf Silben.
Mit welchen Worten, Gedanken und Erlebnissen Sie diese Zeilen und Silben füllen, bleibt Ihnen überlassen. Um jedoch einen kleinen Anstoß zu geben, hier mein Tipp: Ich schreibe jeden Abend ein Haiku über meinen Tag. Egal, ob ich meine Gefühle darin zum Ausdruck bringe, ein Erlebnis festhalte oder einen Gedanken auf den Punkt bringe. Das Haiku bietet mir die Möglichkeit, in meinem Miniaturtext meinen Tag zu reflektieren und festzuhalten.
So entsteht mit der Zeit ein Tagebuch und ich kann immer wieder nachlesen, was mich zu einer gewissen Zeit beschäftigte. Für alle unter Ihnen, die, wie ich, immer motivierte Tagebuchschreiberinnen und -schreiber sein wollten, es dann jedoch immer wieder vernachlässigt haben, ist dies die perfekte Möglichkeit, autobiografisch aktiv zu werden. Kurz, bündig und außergewöhnlich.
Hier ein Beispiel: Frühlingsgefühle/ Draußen und drinnen blüht es/ Mir wird warm ums Herz.
Tagträumen
In der jetzigen Zeit bleiben wir alle zu Hause. Wir sitzen in unseren Wohnungen und Häusern und warten darauf, unsere Freizeit endlich wieder außerhalb der eigenen vier Wände und abseits unzähliger Spaziergänge verbringen zu dürfen. Wenn ich an einem Samstagnachmittag wieder einmal auf der Couch sitze und Musik höre, schweifen meine Gedanken häufig ab. Ich reise an ferne Orte, die ich selbst noch nie besucht habe, kehre an altbekannte zurück und schwelge in Erinnerungen an wunderschöne, warme Sommertage. Was meine Tagträumereien mit Schreiben zu tun haben? Wenn ich daran denke, wo ich jetzt gerne wäre, was ich jetzt gerne tun würde und mit wem, entstehen in meinem Kopf Geschichten.
Beginnend mit der Erinnerung an einen italienischen Sandstrand entsteht eine tragische Liebesgeschichte. Die Sehnsucht nach dem hohen Norden regt mich zu einem inneren Monolog über Kälte, Stille und das Glück, mit sich selbst im Reinen zu sein, an. Der Gedanke an eine Blumenwiese regt mich zu einem kurzen Gedicht über die kleinen, schönen Dinge im Leben an.
Sie sehen: Eine Erinnerung, ein Wunsch, ein Gedanke, sie alle können der Auslöser für eine Geschichte, ein Gedicht oder ein Minidrama sein. Ob realistisch oder fantastisch, lang oder kurz, prosaisch oder lyrisch, Tagträume kennen keine Grenzen und dasselbe gilt für Texte, die aus ihnen entstehen. Trauen Sie sich! Wenn Sie das nächste Mal mit ihren Gedanken auf Reisen gehen, nehmen Sie Stift und Papier mit und halten Sie ihre Ausflüge fest!
Kaffeehausatmosphäre
Ich weiß nicht, wie oft und wie gern Sie ins Café gehen. Mich trifft man dort beinahe jeden Tag an. Leider ist dies nun bereits seit Wochen nicht mehr möglich und bin gezwungen, ein Substitut zu finden, welches es mir ermöglicht, mein Defizit an Kaffeehausatmosphäre ein wenig auszugleichen. Deswegen schnappe ich mir einen Kaffee und mache mich auf die Suche nach einem belebten Ort, an welchem man eine Bank oder ähnliches findet, um sich niederzulassen. Während ich nun dasitze, beobachte ich die Menschen um mich herum. Denn das mache ich auch im Café. Während ich schaue, denke ich mir häufig Geschichten aus – je absurder desto besser. Die Frau im dicken Mantel dort drüben füttert nicht nur die Tauben, nein, sie manipuliert die Tiere. Das Kind mit dem Ball ist in Wirklichkeit Benjamin Button. Die Familie mit dem Hund ist in einen öffentlichen Skandal verwickelt und undercover hier.
Diese Geschichten kann man weiter und weiter spinnen und vielleicht wird daraus eines Tages ein längerer Text. Zu Beginn reicht es jedoch, die Personen und einen oder zwei Sätze zu deren vermeintlichen Hintergründen zu notieren. Wenn Sie dies einige Zeit lang machen, werden Sie staunen, wie sehr Ihre Fantasie dadurch angeregt wird und wie Sie immer schneller darin werden, eine Person oder einen Gegenstand zu sehen und direkt eine Geschichte darum herum aufzubauen.
Zur Person
Luna Levay
Geboren 2001 in Hohenems, aufgewachsen in Bregenz.
Tätigkeit Studium Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften an der Universität Konstanz, aktive Poetry Slammerin, Autorin von Lyrik, Prosa, Kurzgeschichten, Essays und journalistischen Texten, Leitung von Schreibworkshops für Kinder und Jugendliche
Wohnort Bregenz und Konstanz
Die Aufforderung zum Schreiben ist eine Kooperation der Vorarlberger Nachrichten mit Literatur Vorarlberg und dem Theater am Saumarkt in Feldkirch.