Pianist Aaron Pilsan: „Mit Bach finden wir zu uns selbst“

Für seine aktuelle Doppel-CD forschte der Künstler nach neuen Stimmungen und Farben.
DORNBIRN Als absolute pianistische Ausnahmebegabung hat er mit 19 Jahren die großen Konzertsäle Europas erobert. Aaron Pilsan ist, meist gemeinsam mit seinem Freund, dem Cellisten Kian Soltani, Stammgast bei der Schubertiade, lebt in Berlin und verschafft sich auf seiner dritten CD einen musikhistorisch aufregend neuartigen Zugang zu Johann Sebastian Bach.
Sie beginnen wie Ihr Lehrer András Schiff jeden Tag am Klavier mit Bach: Wurde damit der Grundstein gelegt für diese Einspielung des komplexen Wohltemperierten Klaviers?
Ich habe Bachs Musik bereits mit acht Jahren kennen- und lieben gelernt. Sir Schiffs Aufnahme hörte ich zum ersten Mal mit 16, als ich mit meiner Familie in Spanien den Sommerurlaub verbrachte. Dort habe ich die Aufnahme täglich verschlungen und seitdem angefangen, selbst daran zu arbeiten. Meine Rituale ändern sich oft, aber Bachs Musik ist intellektuell, emotional und spirituell anspruchsvoll, das macht sie so besonders.
Sie haben für Ihr Bach-Projekt ein besonderes Stimmungskonzept gewählt.
Mir ging es darum, das Alte und das Neue zu verbinden, die sogenannte „wohltemperierte“ Stimmung, die dem Werk den Namen gab, mit den Möglichkeiten des modernen Konzertflügels. Wir haben vor der Aufnahme viele Tage mit der Vorbereitung des Instruments verbracht und lange am exakten Klang im Studio gearbeitet.
Wird dem Hörer der CD diese besondere Art des Klangs bewusst?
Generell unterscheidet sich meine Interpretation nicht, egal, ob ich auf einem wohltemperiert oder auf einem gleichstufig gestimmten Flügel spiele. Am wichtigsten sind mir die Rhetorik, die Spontaneität und der gestische Ausdruck der einzelnen Charaktere. Diese werden allerdings durch die Stimmung noch verstärkt.
Wie schwer ist es für den Interpreten, diesen komplexen Zyklus von 48 sehr gegensätzlichen Präludien und Fugen durch alle Tonarten zu einem geschlossenen Bogen abzurunden?
Es ist eine Herausforderung, denn es sind einerseits sehr unterschiedliche Stücke, andererseits auch einfach sehr viele! Trotzdem gibt es diesen großen Bogen, das erste Präludium ist sehr schlicht, mit einfachen Dreiklangzerlegungen, die letzte Fuge hat alle zwölf Halbtöne im Thema, das klingt fast wie Schönberg – dazwischen passiert sehr viel …
Ist es taktisch klug, gerade in der Pandemie ein neues Doppelalbum zu veröffentlichen?
Jetzt ist der denkbar beste Zeitpunkt. Aufnahmen zu veröffentlichen, ist aktuell der beste Weg, Musik zu verbreiten, die wir alle mehr benötigen denn je. Wenn wir Bach hören, finden wir mehr zu uns selbst und können die Schönheit in unserem Leben wieder mehr wertschätzen, auch wenn es gerade schwierig ist.
Wie sehr hat Covid-19 im vergangenen Jahr Ihre künstlerischen Aktivitäten beeinflusst?
Sehr. Ich habe mich kreativ weiterentwickelt und neue Wege gesucht, und dieses Suchen ist vor allem für Künstler ein sehr wichtiger Prozess.
Man hört, Sie streben eine Stelle als Dozent an einer Musikhochschule an. Wie konkret sind solche Pläne?
Ich strebe keine Stelle an, denn frei zu sein, ist mir am wichtigsten. Deshalb habe ich ein eigenes Onlinementorship-Programm aufgebaut, ein Angebot, über das ich ambitionierten Pianisten weiterhelfe, die Blockaden zu lösen, die sie an der weiteren musikalischen Entwicklung hindern, sei es in der Technik, Interpretation oder Disziplin und mit klarem Plan, an ihren Werken zu arbeiten und zu üben.
Was bedeutet Ihnen die enge Bindung zur Schubertiade?
Es ist sehr wichtig, eine Heimat zu haben, vor allem eine musikalische Heimat – einen Ort, zu dem ich zurückkehren kann, wo ich weiß: „Hier fühle ich mich wohl“.
Sie absolvieren diese Auftritte meist gemeinsam mit dem Cellisten Kian Soltani, mit dem Sie eine enge künstlerische Freundschaft verbindet?
Kian und ich sind seit vielen Jahren befreundet und auch nach wie vor im regelmäßigen Austausch. Aktuell lebt er in Wien und ich in Berlin, aber wir telefonieren häufig und teilen miteinander neue Entdeckungen und musikalische Erlebnisse.
Was sind die Vorteile, wenn man nicht in der musikalischen Provinz lebt, sondern wie Sie in Berlin, einem pulsierenden Zentrum der Musikwelt?
Aktuell gibt es überhaupt keine Vorteile, aber ich genieße die Vielfalt und die gewisse Anonymität. Da liegt es an mir, ob ich mich für Wochen zurückziehen will oder jeden Abend eine Party feiere. Ich liebe diese Freiheit. Fritz Jurmann
Aaron Pilsans Album mit Bachs „Wohltemperiertem Klavier“, Band 1, erscheint am 9. April bei Alpha Classics
31. Mai, Schubertiade Hohenems: Klavierabend mit Aaron Pilsan (Schubert, Enescu, Schumann)
ZUR PErson
AARON PILSAN
GEBOREN 1995 in Dornbirn
AUSBILDUNG Musikschule Dornbirn (Iván Kárpáti), Mozarteum Salzburg
(Karl-Heinz Kämmerling), Lars Vogt; Meisterkurse bei András Schiff, Alfred Brendel, Daniel
Barenboim, Maria João Pires, Sergei Babayan
TÄTIGKEIT Internationale Konzerte in Solorecitals, mit Orchestern und als Kammermusiker, eine Solo-CD, CD „Home“ gemeinsam mit Kian Soltani
AUSZEICHNUNGEN Förderprogramm der Schweizer Stiftung Orpheum, „Rising Star“ der European Concert Hall Organisation (ECHO), Förderpreis des Deutschlandfunks