Von der Macht eines politischen Systems

Kultur / 07.05.2021 • 20:35 Uhr
Vom AufstehenHelga Schubertdtv224 Seiten

Vom Aufstehen

Helga Schubert

dtv

224 Seiten

Helga Schubert ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

erzählungen Wie kann man Frieden machen mit einem Leben, das es nicht immer gut mit einem gemeint hat? Die Erzählerin in Helga Schuberts Geschichten hat (wie die Autorin) in zwei Unrechtsstaaten gelebt, ist ohne Vater und mit einer kaltherzigen Mutter aufgewachsen – und trotzdem ist für sie am Ende „alles gut“. In ihrem autobiografisch geprägten Erzählband „Vom Aufstehen“ wirft Schubert einen Blick auf dieses Leben zwischen Stasi-Überwachung, komplizierten Familienverhältnissen und Selbstbehauptung. Damit ist die 81-Jährige nun für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Ohne Pathos

Im Mittelpunkt steht eine Erzählerin, die in kurzen Episoden ihre Kindheit schildert, von ihrer Flucht mit der Mutter im Zweiten Weltkrieg erzählt, dem Vater, der mit 28 Jahren von einer Handgranate getötet wurde, vom Aufwachsen in der DDR. Schuberts Sprache ist dabei schlicht, an einer Stelle formuliert sie es selbst: „Nichts Eindeutiges, Belehrendes, Aufklärerisches. Vor allem ohne Pathos.“ Schubert, die in der DDR als Psychotherapeutin arbeitete, begann Mitte der 1970er Jahre, Texte zu publizieren. Manches davon erschien damals nur in Westdeutschland, von der Stasi wurde die gebürtige Berlinerin observiert. Einer Einladung zum Ingeborg-Bachmann-Preis durfte sie 1980 nicht folgen. 2020 folgte späte Gerechtigkeit: Schubert wurde nicht nur nominiert, sondern gewann als älteste der ausgezeichneten Autorinnen. Ihr dort prämierter Text „Vom Aufstehen“ ist nun im Erzählband enthalten.

Vielleicht braucht es diese Perspektive, um bestimmte Dinge zu verarbeiten. „Vom Aufstehen“ erzählt von der komplizierten Beziehung einer Tochter zu ihrer im Krieg hart gewordenen Mutter. Eine Frau, die ihre Tochter auf Distanz hält, sie schlägt und ihr, als die Tochter Talent zeigt, keinen Klavierunterricht mehr erlaubt. Schubert erzählt von der Macht, die andere Menschen, aber auch ein politisches System über jemanden haben können. Doch es gibt Auswege: Das Schreiben und auch der Rückzug in das mit der selbst gewählten Familie errichtete Idyll.