Familiengeschichte mit brisanter Thematik

Das Land der Anderen
Leïla Slimani
Luchterhand
384 Seiten
Leïla Slimanis Werk ist an das Leben ihrer Großeltern angelehnt.
Roman Mit „Chanson douce“ (deutsch: „Dann schlaf auch du“) gewann Leïla Slimani 2016 den Prix Goncourt. Der Psychothriller über ein Kindermädchen, das scheinbar motivlos zur Mörderin wird, wurde nicht nur in Frankreich ein Bestseller. Nun hat sich die 1981 in Rabat geborene und heute in Paris lebende Autorin ihrem Herkunftsland gewidmet: Der Roman „Das Land der Anderen“ führt in das Marokko der 1950er-Jahre.
Anhand der zwei Generationen zurückliegenden Geschichte geht es um aktuelle Themen: um Fremdheit, um Rassismus, um nur schwer zu überwindende Unterschiede zwischen Kulturen, Traditionen und Mentalitäten. Slimani verkitscht nichts, macht aber auch aus der großen Anziehungskraft der Gegensätze kein Hehl. Lust an Erotik, Exotik und Abenteuer spielen eine Rolle, als sich die junge Elsässerin Mathilde am Ende des Zweiten Weltkriegs in Amine verliebt, einen marokkanischen Offizier im Dienst der französischen Armee. Sie folgt ihm nach Marokko – und die Schwierigkeiten beginnen.
Die Bedingungen im kargen Ackerland bei Meknès, wo Amine Land geerbt hat, sind deutlich härter als erwartet. Der Ehemann ist ständig auf dem Feld, die junge Frau, bald zweifache Mutter, fühlt sich einsam und ausgeschlossen, versucht aber an christlichen Gebräuchen wie Weihnachten festzuhalten und einen eigenen Weg zu gehen, bei dem sie letztlich zwischen allen Stühlen landet. Hinzu kommt der beginnende Unabhängigkeitskampf der Marokkaner. Beim Versuch, die französische Kolonialherrschaft abzuschütteln, ist eine Ehe zwischen einem Araber und einer Französin von keiner Partei gerne gesehen.
Rebellion
Nur mühsam kann sich Mathilde bei einem Heimatbesuch dazu durchringen, wieder zu Mann und Kindern zurückzukehren. Zum Auslöser der familiären Katastrophe wird aber nicht die hochbegabte Tochter des Paares, in der sich eine bessere Zukunft andeutet, sondern die Schwester Amines, die gegen die strikten Moralvorstellungen rebelliert.
Leïla Slimani hat „Das Land der Anderen“ an die Geschichte ihrer Großeltern angelehnt. Das Buch soll der erste Teil einer dreiteiligen Familiengeschichte sein. Man darf gespannt sein, wie nahe sie diese Geschichte an sich selbst herankommen lässt. Von außen wirkt ihr Leben als Beispiel erfolgreicher Integration oder jedenfalls als Erfolgsmodell, zu dem man gerne die Innensicht kennenlernen würde.