Eine Sternstunde, wie man sie hier wohl kaum einmal erlebt hat

Hornist Felix Klieser und die Camerata Salzburg sorgten für einen außergewöhnlichen Abend.
DORNBIRN Wie Pilze nach einem warmen Regen sprießen derzeit im Land wieder Konzerte aus dem Boden, eines besser als das andere. Gerade so, als ob die Musiker während des langen Lockdowns ihre Kräfte und Ideen wieder neu gebündelt hätten. Diese Aufbruchsstimmung bescherte am Wochenende auch Dornbirn Klassik vor erlaubten 360 Maskierten im Kulturhaus eine Sternstunde, wie man sie hier wohl kaum einmal erlebt hat. Nicht nur der armlos geborene deutsche Hornist Felix Klieser machte einen mit seiner brillanten Leistung fassungslos, auch die Camerata Salzburg war diesmal an Präsenz, Dynamik und Ausstrahlung nicht zu übertreffen.

„Jammern hilft nichts!“ brachte kürzlich eine deutsche Tageszeitung das längst international beachtete Schicksal von Felix Klieser und ähnlich Betroffener auf den Punkt. Und genauso hat sich auch der 30-jährige Göttinger von Geburt an verhalten. Schon als Kind bildete er sich ein, unbedingt Horn zu erlernen, und zwar die Konzerte von Mozart, ungeachtet der Einwände von Eltern und Lehrern: „Ohne Arme, wie soll das gehen?“ Aber es ging, wie auch Bettina Barnay das in ihrer klugen Einführung darlegte. Mit unglaublichem Willen und Durchhaltevermögen machte Klieser das Unmögliche möglich, hat sein Schicksal ausgetrickst. Mittels einer speziellen Halterung wird das Horn beim Konzert aufgestellt, er kommt, zieht sich die Schuhe aus, setzt die Lippen ans Mundstück – und schon funktionieren die nackten Zehen seines linken Fußes, den er gelenkig wie ein Yogakünstler anhebt, wie die Finger einer Hand beim Bedienen der Ventile. Der andere Fuß steuert den Stopfdämpfer des Trichters. Der Eindruck ist ebenso umwerfend wie emotional berührend. Vor allem, wenn man weiß, dass Klieser auch in seiner extremen Ausnahmesituation keinerlei Mitleid für sich beansprucht, wie er uns das im März 2018 bei seinem Schubertiade-Debüt in Hohenems in einem VN-Interview gesagt hat, sondern als selbstbestimmter Musiker respektiert werden will. Gerade die beiden Mozart-Hornkonzerte Nr. 2 und 4 sind nicht von schlechten Eltern, für den Solisten höchst anspruchsvoll und in der geforderten Brillanz harte Prüfsteine. Für Klieser sind sie mittlerweile selbstverständlich wie das täglich Brot, erstrahlen in einer Topleistung vor allem auch in der Farbgebung, die ihm besonders wichtig ist, weil dadurch das Horn erst zu leben beginnt. Dass der junge Musiker im Applaus und bei einer Rossini-Zugabe ansteckende Fröhlichkeit ausstrahlt, als wäre das alles bloß ein Kindergeburtstag, macht einen vollends sprachlos.
Jeder Satz ein Juwel
Aber auch die traditionsreiche 26-köpfige Camerata Salzburg, deren Streicherkultur bis heute auf ihren legendären Lehrmeister Sándor Végh zurückgeht, läuft an diesem Abend weit über dem Normalmodus auf. Allein die Begleitung des Solisten strömt nach langjähriger Zusammenarbeit eine fast kumpelhafte Harmonie aus, die verblüfft. Aber auch die beiden Orchesterwerke, die die Hornkonzerte einrahmen, sprühen leuchtstark unter den Impulsen des virilen italienischen Konzertmeisters Giovanni Guzzo, der als Teil des Ensembles anstelle des zunächst vorgesehenen Dirigenten vermutlich eine weit größere Innenspannung erreicht. So spielen die Musiker Haydns nur so benannte „Trauersymphonie“ mit kantiger Frische und rhythmischer Kompaktheit wie Hunde, die man von der Leine lässt. Mozarts A-Dur-Symphonie dagegen, jeder Satz ein Juwel, erwächst in edler Haltung und mit großem Respekt vor dem Erfinder, wie sie vielleicht nur waschechte Salzburger aufzubringen vermögen. Der Beifall für alle Beteiligten erreicht für Dornbirner Verhältnisse geradezu orkanartige Ausmaße. Fritz Jurmann
Start der neuen Saison Dornbirn Klassik: 27. September, 19.30 Uhr, Kulturhaus, Kammersymphonie Berlin