Die Staatsoper brilliert nach der Coronakrise
Regisseur Barrie Kosky und Operndiva Anna Netrebko triumphieren mit Verdis „Macbeth“ an der Staatsoper. Andauernder Applaus belohnte die betörende und verstörende Aufführung. Galt Verdís „Macbeth“ bislang als „l´opera senza amore“, als „die Oper ohne Liebe“, meist als politisches Lehrstück interpretiert, so verzaubert der Opernmagier Kosky den Repertoire-Klassiker in ein mitreißendes Psychogramm einer komplexen und leidenschaftlichen Liebesbeziehung. Akribisch untersucht er die Dynamik einer zerstörerischen, in den Wahnsinn kippenden, gleichzeitig aber symbiotischen Beziehung eines mörderischen Paares. Minimal das Bühnenbild; Nacht, endlose Finsternis und Leere umgibt die von Verdi so genial vertonte Shakespeare‘sche Tragödie . In dieser „Macbeth“ stimmt alles und ist dennoch anders. Kosky, erhört Verdis Wunsch, wonach seine wohl schaurigste und grausamste Oper nicht primär politisch oder religiös sei, sondern fantastisch, eine Oper, die auch Mut zur Hässlichkeit verlangt. Virtuos entführt er uns in eine düstere Welt aus Eros, Macht, Horrror, Angst, Gier und Tod.
Kosky, der die Komische Oper Berlin mit seiner Kodirektorin, der Österreicherin Susanne Moser, zu einem der führenden Opernhäuser Deutschlands machte und heute an den führenden Häusern der Welt von Bayreuths Hügel bis zur Covent Garden Opera inszeniert, gelingt ein großer Wurf, der sich in die Rezeptionsgeschichte der Oper einschreiben wird. Überragend auch die Gesangsleistungen, großartig Luca Salsi und Roberto Tagliavini. Anna Netrebko brilliert mit ihrer ersten Lady Macbeth in Wien. Wunderbar auch Dirigent Phillipe Jordan und die Wiener Philharmoniker. 2022 ist Kosky zurück in Wien, wenn an der Staatsoper der neue Da-Ponte-Mozart Zyklus startet.
In der Corona-Krise scheint sich jedoch so manche Kulturinstitution an ihren Dornröschenschlaf gewöhnt zu haben. Das Burgtheater sperrt vor dem Aufsperren schon wieder zu, um Renovierungen durchzuführen (welch tolles Timing!). Die Kunsthalle macht es sich mit sektiererischem Politkitsch (Marke: Wir retten die Welt, hoffentlich bemerkt es auch keiner) in einem isolierten Eremitendasein fern von Publikum und Aufmerksamkeit bequem. Die Staatsoper hingegen zeigt mit viel Energie, Engagement und großartigen Neuproduktionen, dass es nun wieder Zeit ist, für Kunst und Kultur Flagge zu zeigen: Mit diesem grandiosen „Macbeth“ erweist sich Bogdan Roscićs Bestellung zum Staatsoperndirektor wiederum eindrücklich als großes Glück. Roscic macht seinen Job verdammt gut, er traut sich etwas. Roscic erfindet das Kernrepertoire neu, verbindet stets Innovation mit höchster Qualität und zeigt mit Bravour, dass Oper auch frisch, jung, aktuell und spannend sein kann.
„Die Staatsoper hingegen zeigt mit viel Energie, Engagement und großartigen Neuproduktionen, dass es nun wieder Zeit ist, für Kunst und Kultur Flagge zu zeigen.“
Gerald Matt
gerald.matt@vn.at
Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.