Mehr Gendergerechtigkeit bringt beim „Jedermann“ nichts

Der Kontrast zwischen diabolischem Spaß und existenziellem Ernst ist das, was wirkt.
Salzburg Die Frauenrollen in Klassikern neu bzw. besser zu gewichten oder den alten, strikt aus männlicher Perspektive geschriebenen Texten gegebenenfalls ein paar Rollen hinzuzustellen, macht oft Sinn. Andreas Kriegenburg hat mit der Adaptierung von Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ für die Bregenzer Festspiele (und das Deutsche Theater Berlin) gerade gezeigt, wie es funktioniert. Im „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal wirkt es, da kann man es drehen, wenden und rechtfertigen, wie man will, schlicht geschmäcklerisch. Das Stück, die zentrale Produktion der Salzburger Festspiele, erfährt dadurch keine neue Gewichtung. Ob Tod und Teufel von Männern oder Frauen dargestellt werden, lässt sich für das Marketing zwar gut verwerten, es ist im Mysterienspiel ziemlich wurscht. Und dass die Buhlschaft mehr als die hübsche Gespielin des reichen Mannes ist, haben Schauspielerinnen seit den 1970er-Jahren verschiedentlich bzw. einmal mehr und einmal weniger sowie mit entsprechenden Textadaptierungen verdeutlicht.
Nach den starken Auftritten von Stefanie Reinsperger und Caroline Peters in den letzten Jahren schlittert Verena Altenberger erstaunlicherweise mehr in alte Klischees, als es zu erwarten war. Die vielzitierte Kurzhaarfrisur und das auf Androgynität geschnittene Kostüm weiten ihre Position im Vergleich zu den Vorgängerinnen nicht aus. Sie hat in Haus und Hof zwar mehr zu sagen, übernimmt beim zentralen Bankett sogar die Gastgeberrolle, im Grunde genommen reduziert sich ihr Radius aber auf die Küche und das Bett. Ihren Einfluss auf Jedermann selbst holt Regisseur Michael Sturminger nicht heraus.
Die Pietà zum Bach-Choral
Unter der Hand, aufgrund der Neubesetzung vieler Rollen mit Lars Eidinger an der Spitze, sei ihm die Inszenierung neu geraten. Das mag für Genügsame stimmen, die Kluft zwischen Arm und Reich wird im Brecht’schen Sinn betont und der Tod ist nicht mehr der schaurige Typ aus der Geisterbahn, sondern, gespielt von Edith Clever, leise und allgegenwärtig. Gefügig begibt sich Jedermann am Ende in seine Arme, ein Pietà-Bild zu einem Bach-Choral beschließt das Stück, ohne die Verwendung dieser christlichen Ikonographie zu entschlüsseln. Eine Klammer mag sich ergeben, entspricht die Figur Gottes am Anfang doch nur einem aus der Zeit gefallenen Guru mit Rauschebart, der gegen die berührende Schmerzensmutter nichts auszurichten hat.
Gendergerechtigkeit wird versucht, funktioniert allerdings nicht. Des Schuldknechts Weib nimmt es mit Jedermann auf, während ihr armer Mann in einem Ringkampf versagt, für den rasch ein Geviert errichtet wird, gilt es doch zu unterstreichen, dass Eidinger die Maßlosigkeit des reichen Mannes erst einmal mit viel Körpereinsatz und einem zeitlichen Bogen von der Renaissance bis ins Heute konturiert. Halbnackt folgt dann die Feinarbeit mit der Erkenntnis und dem Leiden angesichts des Endes. Dies über die große Distanz, die auch im Festspielhaus herrscht (wo man spielt, wenn es am Domplatz regnet), intensiv zu übermitteln, war zu erwarten und wurde eingelöst. Da reicht ein wortloser Tanz mit der Buhlschaft, die ihm ihren Schleier zum Geleit überlässt und geht.
Der animalisch-witzig akzentuierte Auftritt von Mavie Hörbiger als Teufel verdeutlicht den Kontrast zwischen diabolischem Spaß und existenziellem Ernst, den Eidinger in sich zu bündeln versteht und mit dem er eine unschlüssig wirkende „Jedermann“-Inszenierung für seine Figur auf den Punkt bringt.
Zahlreiche weitere Aufführungen des „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen bis 26. August.