Mama hat ein Ei gelegt

Kultur / 27.08.2021 • 17:30 Uhr
Mama hat ein Ei gelegt
Im Schaufenster des Kollektiv-Raums liegt, je nach Deutung, ein Ei. Sarah Mistura

Sebastian Lehner bringt einen Hauch von Dadaismus nach Bregenz.

Bregenz „La-di-da-di, we like to party – we don‘t cause trouble, we don‘t bother nobody“, schallte es 1985 aus den Ghettoblastern der Hip-Hop-Kultur frönenden Jugend. Heute, Samstag, 28. August, heißt es ab 16 Uhr (kein Bier vor vier) beim Kollektiv-Raum in der Bregenzer Maurachgasse „La-di-Dada“, wenn Sebastian Lehner (36) und seine für den heutigen Abend angereisten Freunde von der Künstlergruppe „Zero Solutions“ zu einer Performance im Zeichen des Flops laden, mit der sie keinen Ärger anrichten und niemanden stören wollen. Selbstironisch würden sie wohl selbst behaupten, dass auch der, der nichts erwartet, enttäuscht wird. Es ist genau dieser spielerische, ehrliche, authentische Ansatz, den die Kunst des in Linz sozialisierten und seit 18 Jahren in Wien lebenden Lehner so spannend und erlebbar macht.

Hochriskantes Unterfangen

Seine Einzelausstellung „Poprocks. Epic Fails & Nice Trys“ in Bregenz bezeichnet er selbst als fleischlich und sexuell. Das ist einerseits hochriskant, da er sich dem moralischen Umfeld in Österreich, mit dem er sich tagtäglich auseinandersetzen muss und für welches das Wort konservativ schmeichelhaft wäre, sehr wohl bewusst ist, andererseits aber einfach Spaß macht, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht und Naivität nicht im Sinne von Leichtgläubigkeit, sondern in dem der Unvoreingenommenheit lebt.

Mama hat ein Ei gelegt
Künstler Sebastian Lehner beim Versuch, Zuckerwatte in Form zu bringen.

Wenn Lehner das Hinterteil einer Frau aus Zuckerwatte formt, dann ist das ein wohlüberlegtes Statement. Sowohl in der Wahl des Materials als auch des Körperteils. Zuckerwatte lässt sich bekanntlich schwer bändigen und unterliegt dem Prozess des Zerfalls. Gesellschaftskritik muss nicht immer mit erhobenem Zeigefinger und von oben herab vollführt werden, sie muss auch nicht kompliziert sein.

Der Künstler möchte einen Dialog starten, die Deutungshoheit jedoch dem Betrachter überlassen. So auch beim Blick ins Kollektiv selbst. Das Objekt, welches den Raum einnimmt, ist ein überdimensionales, deplatziert wirkendes Ei, ein Symbol des Hervorbringens und der Fruchtbarkeit. Lehner hat dafür massiv heiße Luft in eine Schweinsblase gefüllt, was auf mehreren Ebenen als clevere Metapher geeignet ist. Im schwäbisch-alemannischen Kulturkreis zum Beispiel gibt es einen Fasnatsbrauch, eine eben solche Blase an einen Stecken, oder, je ländlicher die Gegend wird, einen Farrenschwanz zu befestigen, um damit besonders die jungen Frauen zu berühren. Die Schweinsblase gilt als Symbol für die Fleischlichkeit, das Schlagen als symbolischer Akt der Fruchtbarmachung und die „leere Hülle“ als Sinnbild für die Vergänglichkeit alles Irdischen. Wer will, kann in Lehners Objekt aber auch nur ein Ei sehen. Es reicht schon zu wissen, dass sich der Künstler nicht einfach hinsetzt und Objekte improvisiert, sondern ein intensiver Denkprozess dahintersteckt – und dann weiß man vielleicht schon zu viel.

Mama hat ein Ei gelegt

Apropos: Was im Schwäbisch-Alemannischen die Fastnacht genannt wird, ist bei uns der Fasching. Und um insofern nochmals ums Eck, auch geografisch, zu denken, wird bei der heutigen Performance auch die nebenan liegende Ore-Ore-Gasse mitbespielt. Was dann dort genau zu erleben ist, wird sich im Lauf des Tages noch entscheiden. So viel darf verraten werden: Es geht um wegweisende Wegweiser, einen Leuchtturm und die Bootsklasse der Optimisten. Es könnte also alles sein, außer vielleicht ein Fruchtbarkeitsritual.

Die Ausstellung „Poprocks. Epic Fails & Nice Trys“ ist noch bis zum 10. September im Kollektiv-Raum, Maurachgasse 1, Bregenz, zu sehen. www.kollektiv-raum.org