“Eine große Metapher für diese Zeit”

Seebühnenregisseur Philipp Stölzl hat die „Schachnovelle“ von Stefan Zweig verfilmt.
Bregenz Stefan Zweigs „Schachnovelle“, vom Schriftsteller 1942 einen Tag vor dem Selbstmord an die Verlage verschickt, ist eine nüchterne, beinahe kühle Metapher auf die erbarmungslose Schreckensherrschaft der Nazis und die Zerstörung der alten Welt. Aus dieser heute zur Schullektüre aufgestiegenen Erzählung hat der deutsche Regisseur Philipp Stölzl nun das Psychogramm einer Entmenschlichung geschaffen. In Starbesetzung zeigt er einen Malstrom in den Wahnsinn. Stölzl, der ein Drehbuch von Eldar Grigorian verfilmt hat, verzichtet in seiner Adaption auf den Zweig‘schen Ich-Erzähler und fokussiert stattdessen ganz auf die Figur des Dr. B, hier Josef Bartok (Oliver Masucci), der als Notar im Wien des Jahres 1938 lebt und die herannahende Gefahr des dräuenden „Anschlusses“ gemeinsam mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) verdrängt. Bis es zu spät ist.
Der Vermögensverwalter des alten Adels wird von den Nazis im einstigen Hotel Metropol, der neuen Gestapo-Zentrale, interniert, um ihn zur Herausgabe von Kontodaten zu zwingen. Als sich Bartok weigert, setzt ihn der Gestapo-Mann Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch) der weißen Folter aus – der völligen, impulsfreien Isolationshaft.
Zeit und Raum werden bedeutungslos für Bartok, der dem Wahnsinn zu verfallen droht – bis ihm ein Buch über Schach in die Hände fällt. Um seine geistige Ordnung aufrechtzuerhalten, stürzt sich der Gefangene besessen in die Partien, die er in seinem Kopf durchspielt. Den Sturz in den Malstrom kann dies jedoch nicht aufhalten – im Gegenteil. Die bei Zweig als Rahmenhandlung gesetzte Schiffspassage, auf der sich Dr. B später mit dem amtierenden Schachweltmeister konfrontiert sieht, ist bei Stölzl die ebenfalls in fahles Licht gekleidete Fahrt eines Totenschiffs.
Körperliche Form des Kinos
Stölzl, der bei den Bregenzer Festspielen „Rigoletto“ auf dem See inszenierte und in drei Jahren mit dem „Freischütz“ erneut eine Freiluftoper schafft und als Filmemacher mit „Der Medicus“ Erfolge feierte, fokussiert in seiner Fassung ganz auf die Psyche eines Mannes, ersetzt die Nüchternheit Zweigs durch wuchtige, magnetische Bilder, die als albtraumhafte Visionen daherkommen. Mit teils extremen Nahaufnahmen versucht der österreichische Kameramann Thomas W. Kiennast gleichsam unter die Haut der Protagonisten zu kriechen und erzeugt eine klaustrophobische Grundatmosphäre. Der Zuschauer ist mit Bartok gefangen, entkommt dieser körperlichen Form des Kinos nicht.
Philipp Stölzl: „Mich zieht es wohl immer eher zu den epischen Geschichten hin, selbst wenn sie sich in einem beengenden Hotelzimmer abspielen wie in der ,Schachnovelle‘.“

Kinostart in Vorarlberg ist 24. September im Cineplexx Hohenems sowie im Cinema Dornbirn.