Wagners Götter auf dem Rummelplatz

Kultur / 22.11.2021 • 18:25 Uhr
Die Rheintöchter bewachen das Gold und necken Alberich.
Die Rheintöchter bewachen das Gold und necken Alberich.

Stephan Kimmigs „Rheingold“ bietet sich als Einstiegsdroge mit viel Spaß und tiefem Ernst.

Stuttgart Ein Rummelplatz erlaubt beinahe alles. Das hat Philipp Stölzl mit Giuseppe Verdis „Rigoletto“ auf der Bregenzer Seebühne gezeigt, wo der Herzog zum Zirkusdirektor mutierte und alle noch etwas böser waren als sonst, obwohl die Szenerie zu Beginn so heiter wirkte. So gesehen hätte man für „Das Rheingold“ des Jahrgängers Richard Wagner das Konzept von draußen gleich nach drinnen verlegen können, als man den Vorabend des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“, so der Untertitel, in diesem Sommer einmal halbszenisch im Haus aufführte. Diese Idee verfolgte nun Stephan Kimmig an der Oper Stuttgart, an der das Publikum am Sonntagabend lang und kräftig jubelte.

Bedacht wurde dabei in erster Linie ein überwiegend mit Rollendebütanten besetztes, relativ junges Ensemble, das stimmlich so gut wie nichts zu wünschen übrig ließ und Kimmigs Konzept – für das der Regisseur einige Buhrufe einstecken musste – quasi verinnerlicht hatte, so stimmig war jede Geste oder Regung im furiosen Spiel. Cornelius Meister brauchte den fetten Wagner-Sound nicht zu zügeln und erwies sich dennoch als Sängerdirigent par excellence. So geht „Das Rheingold“ locker als vielzitierte Einstiegsdroge durch. Es braucht nicht immer der ebenfalls nicht so lange „Fliegende Holländer“ zu sein, um das Interesse zu wecken, schickt die Jugendlichen hin, sie finden sich hier auf der Bühne wieder.

Zuerst einmal bei den Rheintöchtern, die als Eliteschülerinnen (Kostüme Anja Rabes) zwar brav das Gold des Rheins hüten, aber gar nicht brav ihre Reize entdecken und Alberich necken bis die Dinge ihren unheilvollen Lauf nehmen. Dieser entsagt der Liebe für das Gold bzw. Geld, wird in Nibelheim zum Ausbeuter der Arbeitenden, von Loge gelinkt, der den nun mit einem Fluch belegten Schatz Wotan übergibt, der damit wiederum Freia aus den Fängen der Riesen befreit und nach Walhall zieht.

Logisch, es gibt Kapitalismuskritik

Eine gerechtere Gesellschaft hatte sich Wagner einst ersonnen. In „Rheingold“-Inszenierungen wurde es x-mal durchexerziert, das Werk steckt voller Kapitalismuskritik, für Geld wird reihum gemordet, die Umwelt geopfert. Wenn die warnende Erda als Klimaaktivistin mit Fahrrad auftritt, nachdem Donner und Froh im Go-Kart einherflitzten und die bausüchtigen Riesen auf dem Gabelstabler sitzen, wäre die Spitze der Banalität erreicht. Doch Hoppla, davor schützt erstens das Bühnensetting mit dem versifften Rummelplatz von Katja Haß und die Personenführung, die bei aller Überhöhung und allem Humor auf charakterliche Feinzeichnung ausgelegt ist, die alles Plakative hinwegfegt.

In einer der Hochburgen der deutschen Auto- und Bauindustrie darf da schon einmal doppelbödig mit „Lass alle Freiheit fahren“ demonstriert werden. Heiser geschrien oder gehetzt hat sich keiner. Der Fokus der Musikfeinspitze richtet sich auf Matthias Klink, der bei der sauschweren Partie des Loge niemals außer Atem gerät, obwohl er als einzig Unkostümierter diese Zirkusbagage im Zaum zu halten hat, wie ein Collie ein paar blökende Schafe. Er richtet sich auch auf Leigh Melrose, der einen Alberich hinlegt, als gelte es sämtliche Harry-Potter-Bösewichte zu übertrumpfen. So viel Fantasy darf sein, wenn der Griff in diese Genre-Kiste nicht zur Show verkommt. Passiert nicht, Rachael Wilson macht uns die Qual der Fricka in vielen Nuancen plausibel, und auch wenn Goran Juric als Wotan (hier logischerweise der Zirkusdirektor) mitunter ein wenig kraftlos wirkt, sind die Besetzung und das Gesamtbild ein derartiges Ereignis, dass sich nicht gleich die Frage stellt, wie das nun weitergeht auf diesem Rummelplatz, der die Welt bedeutet, wenn dann im Frühjahr der zweite Teil von Wagners „Ring“, also die „Walküre“ kommt, sondern dass die Wirkung der Szenen erst einmal anhält.

Für „Das Rheingold“ applaudierte das Publikum am Sonntagabend an der Oper Stuttgart lang und kräftig. Oper/Matthias Baus
Für „Das Rheingold“ applaudierte das Publikum am Sonntagabend an der Oper Stuttgart lang und kräftig. Oper/Matthias Baus

Weitere Aufführungen ab 24. November und im Dezember: staatsoper-stuttgart.de